Ordensgemeinschaften in Deutschland

Herbstzeit – Lesezeit

Vergnügt beginne ich mit einer Biographie, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte: „ Benjamin Dürr. Erzberger. Der gehasste Versöhner. Biographie eines Weimarer Politikers. Berlin 2021“. Der Anlass zu dieser Buchveröffentlichung war der 100. Jahrestag der Ermordung von Matthias Erzberger am 26. August 1921.
Der begabte Matthias Erzberger, geboren im September 1875 auf der schwäbischen Alb wird Lehrer, schreibt für Zeitungen, wird Mitglied der Zentrumspartei und 1903 jüngster Abgeordneter im Deutschen Reichstag.  Er hat eine Gabe zum Reden und kann Leute begeistern, ist volksnah und    stockkatholisch. Er arbeitet viel und rasch, ist wendig und vielseitig interessiert.  Seine innere Entwicklung und seine äußeren politische Aktionen werden in Dürrs Buch verständlich erzählt.  1914 zuerst Befürworter des beginnenden Krieges, setzt er sich später für Friedensverhandlungen ein. Im November 1918 unterschreibt er den Versailler Friedensvertrag und wird dadurch bei rechtradikalen Kräften zur Hassfigur. Als Finanzminister reformiert er 1919 grundlegend das Steuerwesen, auch um ärmere Schichten zu entlasten. Er schreibt: „Die berechtigten Anliegen der Arbeiter sollten nicht sozialistisch und revolutionär, sondern auf der Basis der katholischen Soziallehre durchgesetzt werden.“  Korruptionsverdächtigungen und ein Prozess um eine vermeintliche Steuerhinterziehung belasten Erzberger. Er tritt zurück. Die sogenannte Dolchstoßlegende, nach der die Zivilbevölkerung und Politiker wie Erzberger der kämpfenden Armee in den Rücken gefallen seien und so für die Niederlage des Krieges 1918 verantwortlich seien, schürt gegen ihn weitere Verachtung, ja Hass. Zwei fanatische Rechtsgerichtete erschießen Erzberger auf einem Spaziergang während seines Urlaubs 1921 im nördlichen Schwarzwald.
Was fasziniert mich an Erzberger? Er war ein menschlicher und ein katholischer Politiker:
Menschlich, weil neue Einsichten zu den Änderungen in seinen Haltungen und Handlungen führten. Etwa vom Kriegsbefürworter 1914 zum Friedenspolitiker aufgrund des Grauens und von Millionen Toten im 1. Weltkrieg.
Katholisch, weil er die Überzeugungen und Werte seines Glaubens nicht in der Sakristei beweihräucherte, sondern in der politischen Arena offensiv vertrat.
Kennen Sie heutzutage solche Politiker*innen?
 

"Erzberger: Der gehasste Versöhner" (2021) von Benjamin Dürr, Ch. Links Verlag

Über den Autor

Br. Lukas Jünemann ist Generalminister der Armen-Brüder des hl. Franziskus.

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