Kolumne: Die Blume der Armut
Die Lebensgeschichte der Dichterin Christine Lavant berührt mich. In ärmsten Verhältnissen wächst sie zusammen mit sieben Geschwistern und den Eltern in einer Stube im österreichischen Lavanttal auf. Über Ihre Mutter, die sie trotz aller Not mit Liebe aufzieht und ihr literarisches Talent fördert, schreibt sie:
„Unsere Mutter ist keine Dame gewesen.
Einmal hat sie dem Rauchfangkehrer seinen Glückwunsch zu Neujahr nicht bezahlt, weil kein Bissen im Haus war. Der hat dann bei allen Bauern erzählt dass sie ein geiziges Weiblein sei und schon so ausschaut wie eine Hexe.
Im Winter haben die Bäurinnen Zeit und da sind gleich drei auf einmal gekommen mit Wäsche zum Flicken und anderen Fetzen und haben ihr alles wiedererzählt von dem Lümmel dem Rauchfangkehrer.
Damals ist mir zum ersten Mal in Mutters winzigem Mundwinkellächeln die Blume der Armut so aufgefallen, dass ich die Stube verlassen musste, weil niemand wert ist das anzuschauen und gar zu erkennen. Seit diesem Tage habe ich Gott immer um diese Blume gebeten aber die Armut allein tuts wohl nicht denn mein Lächeln ist bloß eine Distel.“ (Gesamtausgabe, Bd.3, S. 202)
Was ist das für eine sonderbare Blume, die Christine in den Mundwinkeln der Mutter sieht? Die „Blume der Armut“ im Gesicht der Mutter, die scheinbar nicht bitter wird unter der Missachtung der Anderen, die sich nicht schämt, arm zu sein und ihre Kinder durch die Zeit und alle Schwierigkeiten bringt.
Was ist das für eine Blume? Eine Würde jenseits aller Scham. Ein über dem Gerede der Anderen stehen, eine Verletzlichkeit und gleichzeitig eine Stärke, die sich nicht an Äußerem festmacht. Eine innere Schönheit, eine Freiheit, eine Liebe.
Und was hat das mit unserem Versprechen der Armut zu tun? Was mit unserer Art auf die Menschen zu schauen, ihnen zu begegnen und tiefer zu schauen?
„Schäme dich also nicht Dich zu unserem Herrn zu bekennen.“ 2. Tim 1,8 heißt es heute in der Lesung.