Ordensgemeinschaften in Deutschland

Mauern überwinden

Im Park unseres Mutterhauses gibt es eine aus Natursteinen erbaute Mauer. Seit über 300 Jahren steht sie da. Ursprünglich Teil einer alten Wehranlage, heute ein schön anzusehendes Biotop für allerlei Pflanzen, Vögel und Insekten. Ihr Anblick lässt beinahe vergessen, dass Mauern auch ganz andere Seiten haben können. Wer z.B. die Berliner Mauer überwinden wollte, brachte sich in Lebensgefahr. Mir kommt auch die hohe Mauer des Gefängnisses in den Sinn, an dem ich als Kind auf dem Schulweg täglich vorbeikam. Oft habe ich mich gefragt, wie es jenseits der Mauer aussehen mag und aus welchen Gründen Menschen dort eingesperrt sind.

Mauern aus Stein schützen und bergen, aber sie können auch trennen, isolieren und einengen. Nicht anders ist es mit den unsichtbaren Mauern in unseren Köpfen. Wer kennt nicht solche trennenden Mauern, die z.B. durch Vorurteile aufgebaut sind. Menschen werden ausgegrenzt, weil sie sozial schwach, ungebildet, fremd, krank oder alt sind. Oft genügt es schon, wenn jemand einfach nur anders ist. Wie lassen sich solche Hindernisse überwinden und aus dem Weg räumen?

In Ordensgemeinschaften leben wir mit Menschen zusammen, die wir uns nicht ausgesucht haben – Gleichgesinnte, die sich alle von Gott berufen wissen und nach der gleichen Spiritualität leben möchten. Damit das funktioniert, bedarf es einer großen Offenheit. Wirklich gemeinschaftsfähig ist erst, wer bereit ist, sich auf die Andersartigkeiten, Prägungen, Denkweisen und Erfahrungen anderer einzulassen.

In unseren Konstitutionen heißt es im Hinblick auf das Leben in Gemeinschaft, wir seien „einander gegeben und aufgegeben“. Es ist nicht so, dass die einen mir gegeben und die anderen mir aufgegeben sind. Alle sind ein Geschenk, und alle bedürfen einander, um zu reifen und zu wachsen im Glauben. Wo immer es gelingt, aus dieser Überzeugung zu leben, werden Mauern abgetragen. Mit der Entscheidung – trotz aller Verschiedenheit – in Gemeinschaft zu leben, haben wir Ordenschristen eine wichtige Aufgabe für unsere heutige Gesellschaft.

Über die Autorin

Sr. M. Andrea Walterbach ist Generaloberin der Missionsschwestern vom heiligen Namen Mariens.

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