Das Corona-Virus bringt es auf den Punkt, was wir schon lange wissen: Wir alle sitzen in einem Boot. Ob unser Lebensstil Bescheidenheit vermissen lässt und so natürliche Ressourcen unserer Erde ausgebeutet werden, ob in einzelnen Staaten Herrscher mit einem fragwürdigen Machtverständnis am Ruder sind und Menschen in Armut und Not treiben, ob Krisen die Anfälligkeit der Finanzsysteme offenbaren, ob in unseren Städten an vielen Wochenenden Dauerparty herrscht und Rausch jegliche Menschenwürde vergessen lässt, ob das Lügen, getarnt als Fake-News, hoffähig geworden ist, ob Gemeinschaft sich durch gegenseitige Wertschätzung auszeichnet oder unterhöhlt wird durch Individualismus – immer sitzen wir alle in einem Boot, jedes Mal zieht das eigene Verhalten und Handeln Kreise.
Dass alle in einem Boot sitzen, ist nicht weiter schlimm. Es ist jedoch etwas anderes bedrohlich geworden: Mit der Corona-Pandemie läuft so vieles aus dem Ruder – nicht nur gesundheitlich und finanziell. Dabei hoffen viele, man müsste zur „Normalität“ zurückkehren. Ist es denn „normal“, unsere Erde derart zu ruinieren, dass nachfolgende Generationen vor dem Scherbenhaufen übertriebenen Konsums stehen und damit leben müssen? Ist es „normal“, dass Bürger wohlhabender Staaten sich nicht um Notleidende kümmern, denen es an vielem mangelt, was für sie und uns scheinbar selbstverständlich ist? Ist es denn „normal“, sich rücksichtslos zu verhalten, solange mir etwas Spaß macht? Was heute alles als „normal“ gilt, das müsste vielleicht auf den Prüfstand eines wachen Gewissens, ob es - nach Sokrates - „gut, wahr und wichtig“ ist. Die Dichterin Hilde Domin kleidet ihre Erfahrung in die Worte, dass wir „stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ Kein Wort von „Normalität“, keine Rede davon, dass alles so bleiben soll, wie es einmal war, sondern „stets von neuem“ werden wir „zu uns selbst entlassen“. Und dies geht nicht spurlos an uns vorüber, wir können in unserer persönlichen Menschwerdung wachsen. Welche Chance zu vertieftem Leben!