Ordensgemeinschaften in Deutschland

Bettelorden und Stadt

800 Jahre franziskanisches und dominikanisches Leben in Deutschland: Der Kirchenhistoriker P. Klaus Schatz SJ über einen Umbruch in der Ordensgeschichte durch das Auftreten der Bettelorden.

Das Ambiente des abendländischen Klosters war bis zum 12. Jahrhundert das Land und die Grundherrschaft. Wirtschaftlich beruhte es auf agrarischer Grundlage, d.h. auf Grundbesitz, der wiederum auf Schenkung durch den Adel beruhte. Ob als blühendes benediktinisches Kulturzentrum und landwirtschaftliches Großunternehmen mit vielen Hörigen, Pächtern, Mühlen, Jagden und Fischteichen, oder - wie bei den Cisterziensern - abseits der bevölkerten Gebiete in Wald oder Sumpf und mit harter Arbeit der Mönche selbst: in jedem Falle gehörte es zu einer ländlichen Welt. Dies galt auch für die “Vita-apostolica”-Bewegung des 12. Jahrhunderts, die von einem neuen Begriff von “Armut” und gleichzeitig von “apostolischem Leben” geprägt war: nicht mehr so sehr die nach-österliche Urgemeinde in Jerusalem mit ihrer Gütergemeinschaft als der vor-österliche Jüngergemeinde, die mit ihrem Herrn, der “nichts hatte, wohin er sein Haupt legen konnte” (Lk 9,58) wandernd und heimatlos umherzog. Es war das urchristliche Ideal der “peregrinatio”, der Heimatlosigkeit um Christi willen, das in dieser Bewegung wieder durchbrach. Und doch konnte dieses Ideal in einer agrarischen Welt keine dauerhafte institutionelle Form finden. Denn sobald eine Gemeinschaft aufhörte, wandernd  herumzuziehen (was meist nur für eine gewisse Anfangszeit möglich war), konnte sie auf dem Lande nur durch adlige Schenkung und Grundbesitz existieren.

Das historisch Neue der Bettelorden ist, dass sich in ihnen das neue spirituelle Ideal der “Vita apostolica” mit einer neuen soziologischen Wirklichkeit und gleichzeitig einer neuen Ekklesiologie verbindet. Dies ist auf der einen Seite die spätmittelalterliche Stadt, auf der andern Seite die zentralistische Papstkirche, in welcher die Bindung an das Papsttum und die Universalkirche die ausschließlich ortskirchliche Bindung sprengt. Durch beide sind erst zentrale Orden als ortsungebundene Personalverbände mit prinzipieller Versetzbarkeit der Mitglieder möglich, ohne dass dies Rückfall in ein anarchisches Gyrovagentum bedeutet. Erst in den Städten war der Verzicht auf feste Einkünfte und auf Grundbesitz als Grundlage wirtschaftlicher Existenz möglich. Denn erst hier gab es eine Bevölkerungskonzentration, die das nötige Reservoir bildete, damit eine Gemeinschaft von Almosen leben konnte, und bald auch von Stiftungen und Schenkungen wohlhabender Bürger. Diese neue Form der Armut war als Dauereinrichtung wirtschaftlich nur in der Stadt möglich.

Außerdem paßte die neue Mobilität, Internationalität und Zentralisierung dieser Orden zu der Welt der Stadt, die in ständigen Handelskontakten überregionaler Art stand und in der sich eine Schicht "fahrender Leute" ausbildete. Und schließlich bot die Stadt für diese neuen Orden, die seelsorglich-apostolisch ausgerichtet waren, ein weites Feld für Predigt, Beichte und geistliche Führung, schließlich für theologische Lehrtätigkeit an den neu entstehenden Universitäten. Und insofern hat nicht nur die Stadt die neuen Orden geprägt, sondern diese auch in eminentem Maße  seelsorglich die Stadt. Denn die neuen Bettelorden waren - schon aus dem apologetischen Interesse, sich von den “häretischen” Katharern abzugrenzen und in Anbetracht ihrer “Neuerung” ihre Rechtgläubigkeit unter Beweis zu stellen - besser theologisch ausgebildet als die Masse des Diözesanklerus, in dem es erst in der Vorreformationszeit eine nennenswerte Minderheit universitär ausgebildeter Priester gab. Vor allem verlegten sie ihre seelsorgliche Aktivität auf Predigt einerseits, Beichte anderseits. Dadurch kamen sie den Bedürfnissen des jetzt auch religiös anspruchsvoller werdenden Bürgertums meist besser entgegen als die Mehrheit des Weltklerus.  Und nicht zuletzt bedeutete die Präsenz von Ordenskirchen in den Städten: es gab Wahlmöglichkeiten. Man “mußte” nicht mehr in die eigene Pfarrkirche gehen. Man konnte auswählen: zwischen verschiedenen Predigten, verschiedenen Spiritualitäten, nicht zuletzt verschiedenen Heiligen, von denen die einen hier, die andern dort mehr verehrt wurden, und die man sich zu “Wahlheiligen” nehmen konnte.

Durch die Einfügung in die soziale Wirklichkeit Stadt (wie auch in die Institution der Papstkirche) wird bei diesen neuen Gemeinschaften einerseits ihr Anliegen und seine Durchsetzung erst ermöglicht. Andererseits wird dadurch das ursprünglich Gewollte auch verwandelt und verändert. Gemeinschaften, die ihren Ursprung ganz anderswo haben, wie die Kartäuser und Karmeliter, verändern durch die Präsenz in den Städten grundlegend ihr Gesicht, vor allem auf mehr seelsorgliche Ausrichtung. Und auch bei den neuen Bettelorden kommt nicht alles zum Durchbruch, sondern nur das, was in diese kirchliche und soziale Wirklichkeit eingefügt werden kann. Die meisten Konflikte, vor allem der franziskanische Armutsstreit, resultieren aus diesen Anpassungsproblemen.