Ordensgemeinschaften in Deutschland

Dokumentation: Presserklärungen des Jesuitenordens zu Vorwürfen sexuellen Missbrauchs in Jesuiteneinrichtungen

Presserklärung des Provinzials der Deutschen Provinz der Jesuiten, Stefan Dartmann SJ

MÜNCHEN 18.02.2010. Seitdem vor einigen Wochen die Problematik sexueller Missbrauch durch Mitglieder des Jesuitenordens deutlich wurde, ist die Erwartung einer gründlichen Aufklärung der Vorfälle in vielfacher Weise aufgegriffen worden. Der Orden hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe die Beauftragte zur Klärung von Missbrauchsfälle, Ursula Raue, eingeschaltet und sie gebeten, entsprechend den Richtlinien „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Ordensleute im Bereich der Deutschen Ordensoberenkonferenz“ die Vorwürfe zu prüfen und eine erste Beurteilung vorzunehmen.
Nachdem Frau Raue zahlreiche E-Mails, Briefe und Telefonanrufe erhalten und auch Einsicht in die Akten genommen hat, hat sie heute im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin ihren angekündigten Zwischenbericht vorgelegt.
Die Informationen von Frau Raue beziehen sich vor allem auf Vorfälle in den 70-er und 80-er Jahren in Jesuitenschulen und in von Jesuiten verantworteter Jugendarbeit. Das Ausmaß dieser Übergriffe, in denen sich sexuelle und sadistische Motive mischen, ist für den Orden erschreckend und beschämend. Ich danke den Opfern und Betroffenen, dass sie nicht mehr schweigen, sondern den Mut gefunden haben, uns mit ihren Erfahrungen zu konfrontieren.
Frau Raue äußert ihr Erstaunen, dass sie in den Unterlagen des Ordens aus der damaligen Zeit kein Nachdenken darüber findet, was die Erfahrung des Missbrauchs bei Kindern oder Jugendlichen für Schäden anrichtet. Dazu sage ich: Dies ist eine Schande für einen Orden, der als eine seiner Hauptaufgaben das „animas iuvare“ [den Menschen helfen] auf seine Fahnen geschrieben hat. Mit Scham erfüllt mich auch die im Bericht klar benannte, wenn auch noch ungenügend aufgeklärte Tatsache, dass Täter von einer Station der Jugendarbeit in die andere geschickt wurden. Was hier menschliches Versagen von Leitungspersonen im Einzelfall war, und was hier strukturell falsch lief, wird in einem weiteren Schritt zu klären sein. Unsere Akten stehen Frau Raue weiterhin zur Verfügung.
Vor zwei Wochen habe ich einen geständigen Täter, der heute noch im Orden ist, von der öffentlichen Ausübung seiner priesterlichen Funktionen suspendiert. Ich habe den Rücktritt des Kollegsleiters in Bonn angenommen, der dadurch den Weg zu einer lückenlosen Aufklärung der Vorfälle freimachen will und einen neuen, kommissarischen Kollegsdirektor ernannt. Weitere personelle Konsequenzen sehe ich auf Grund des Zwischenberichtes von Frau Raue noch nicht für notwendig an.

Aufgrund des Zwischenberichtes kann ich folgendes als erste Konsequenzen für den Orden benennen:

  • Erweiterung des Arbeitsstabes von Frau Raue. Ich habe mit Frau Raue vereinbart, dass sie die in den Richtlinien vorgesehene Möglichkeit nutzt, ihren Arbeitsstab entsprechend ihrem Bedarf zu erweitern.
  • Einrichtung von Arbeitsstäben in den drei Schulen unseres Ordens. Frau Raue hat deutlich gemacht. dass der Umfang der noch zu leistenden Arbeit enorm ist. Sie betont die Notwendigkeit, auch an den einzelnen Schulen des Ordens jeweils einen Arbeitsstab für die Aufarbeitung der Vorgänge einzusetzen. Über diese Empfehlung werde ich mit den Leitungen der jeweiligen Institutionen beraten.
  • Prävention. Frau Raue betont in ihrem Bericht die Notwendigkeit, Modelle zu entwickeln und zu institutionalisieren, die geeignet sind, zukünftigen Missbrauchsfällen vorzubeugen. Darunter fallen für sie die Benennung von Ombudspersonen als Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler sowie Supervision und gezielte Fortbildung für das Personal in den entsprechenden Institutionen unseres Ordens. Auch darüber werde ich mit den Verantwortlichen vor Ort ein Gespräch aufnehmen.

    Im Namen des Ordens danke ich Frau Raue, dass sie mit äußerster Sensibilität und schier unendlicher Ausdauer allen zugehört hat, die sich in den letzten Wochen bei ihr gemeldet haben, um zur Aufklärung beizutragen. Besonders sei aber auch denen gedankt, die auf welche Weise auch immer physisch und psychisch missbraucht worden sind und die durch ihre Meldungen wesentlich zur gegenwärtigen Aufklärung der Vorfälle beitragen.

    Rektor des Aloisiuskollegs tritt zurück

    MÜNCHEN, 08.02.10 - In der Folge der aktuellen Entwicklungen um das Aloisiuskolleg in Bad Godesberg ist der Rektor des Kollegs, Pater Theo Schneider SJ, mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Der Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten, Stefan Dartmann SJ, hat den Rücktritt angenommen.
    Pater Schneider hat den Provinzial heute darüber informiert, dass er diesen Schritt im Interesse einer lückenlosen Aufklärung aller im Raum stehenden, einschließlich der gegen seine eigene Person gerichteten Vorwürfe für angeraten halte. Der Provinzial wird in den nächsten Tagen eine kommissarische Leitung des Kollegs bestellen.

    Erklärung von Pater Theo Schneider SJ, Rektor des Aloisiuskollegs in Bonn - Bad Godesberg

    BAD GODESBERG, 04.02.10 - Es gibt Gerüchte von Übergriffen sowie Verdächtigungen, Beschuldigungen und Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, die sich auch auf das Aloisiuskolleg beziehen. Diese beziehen sich ausschließlich auf die Vergangenheit und nicht auf aktive Jesuiten und Mitarbeiter des Kollegs.
    Solchen Hinweisen ist - seit Inkrafttreten der Richtlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Ordensleute (2003) - nachgegangen worden und sie sind zur Prüfung und Untersuchung an die zuständige Beauftragte des Jesuitenordens für Missbrauchfälle weitergegeben worden.
    Dabei sollte man unterscheiden, dass es einerseits Fälle gibt, die anonym der Presse mitgeteilt wurden, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis hatte; und dass es andererseits Vorwürfe gibt, die mir lediglich unter Zusicherung äußerster Diskretion anvertraut worden sind, die ich aber der Ordensleitung umgehend mitgeteilt habe und die der Beauftragten des Jesuitenordens für Missbrauchfälle weitergeleitet wurden. Diese Untersuchungen sind meiner Kenntnis nach in allen Fällen abgeschlossen. Das gilt auch für eine Publikation aus dem Jahre 2004. Im Auftrag des Ordens führte Frau Raue Gespräche mit Ehemaligen über die in diesem Buch angedeuteten vermeintlichen Übergriffe. Diese Gespräche wurden unter Zusicherung größter Vertraulichkeit und Diskretion geführt.
    Selbstverständlich stehe ich auch weiterhin für Gespräche zur Verfügung, kann und darf aus Gründen unabhängiger Untersuchungen jedoch nicht selber ermitteln, sondern werde dies immer einer unabhängigen Person oder Institution übertragen. Dass ich sexuellen Missbrauch aufs schärfste verurteile, dass ich Opfer von Verbrechen um Verzeihung bitte, persönlich und als Vertreter unseres Kollegs, ist mir ein großes Anliegen. Dies gilt auch für alle Jesuiten und Verantwortlichen des Aloisiuskollegs. Etwaige Betroffene ermutige ich ausdrücklich zum Gespräch.

    Neue Opfer nennen weiteren Täter

    MÜNCHEN , 02.02.2010 - „Auf der Pressekonferenz am 1.2.2010 in Berlin habe ich bestätigt, dass zwei ehemalige Patres aus dem Jesuitenorden sich in den 70er und 80er Jahren sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben.
    Nun teile ich Ihnen mit, dass es einen weiteren Jesuiten gibt, der sich zu sexuellen Übergriffen bekannt hat, nachdem er von Frau Raue, der Beauftragten für die Prüfung von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, mit den Aussagen von drei Opfern konfrontiert worden ist, die sich jetzt gemeldet haben. In einem Falle hat der Beschuldigte die Tat zugegeben. Daraufhin habe ich ihn aufgefordert, sich unverzüglich bei der Polizei zu melden und gegen sich selbst Anzeige zu erstatten. Das ist bereits geschehen.
    Darüber hinaus habe ich den Mitbruder heute mit sofortiger Wirkung vom priesterlichen Dienst suspendiert. Der betreffende Jesuit, der noch heute im Orden ist, war Religionslehrer in Berlin am Canisius Kolleg (1970-1971), in Hannover als Jugendseelsorger (1971-1975), als Lehrer und in der Jugendarbeit in Berlin (1976-1981) und danach als Lehrer und Jugendseelsorger in Hamburg (1981-1983) tätig. Danach war er über zwanzig Jahre lang Projektleiter eines anerkannten Hilfswerkes.
    Schon früher hat es eine Anzeige eines Opfers gegeben, bei der gemäß den seit 2002 geltenden Richtlinien vorgegangen worden ist. Dem Opfer wurde absolute Vertraulichkeit zugesagt. Das anschließend in Gang gesetzte Verfahren führte dazu, dass dem Vorstand des Hilfswerkes mitgeteilt wurde, dass der betreffende Pater die Leitung des Hilfswerkes abgeben muss, was auch geschehen ist.
    Die Vorfälle aus den 70er Jahren in Hannover, deren Opfer sich jetzt an die Beauftragte gewendet haben, geben Anlass zu der Befürchtung, dass es auch an anderen Orten solche Übergriffe gegeben hat. Ich danke den Opfern, dass sie hervorgetreten sind und entschuldige mich bei ihnen im Namen des Ordens.“

    MÜNCHEN/BERLIN, 02.02.2010 Im Kontext der Klärung der Fragen, die sich dem Orden und der Öffentlichkeit wegen der Missbrauchs-Vorwürfe gegen zwei ehemalige Mitglieder des Jesuitenordens am Canisius-Kolleg in Berlin gestellt haben, hat der Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten, Pater Stefan Dartmann SJ, anlässlich einer Pressekonferenz am 01.02.2010 umfassend über die beiden Tatverdächtigen informiert.
    Insbesondere im Fall des ehemaligen Jesuitenpaters Wolfgang S. wurde aus den Unterlagen, vor allem aber aus einem Fragebogen im Zuge des Laisierungsverfahrens deutlich, dass es nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg und St Blasien zu Übergriffen gekommen ist. Pater S. war nach seiner Zeit im Canisius-Kolleg (1975 bis 1979) Lehrer an der St. Ansgar- Schule in Hamburg (1979 bis 1982) und anschließend im Kolleg in St. Blasien in Schwarzwald (1982 bis 1984).
    Die Worte des Provinzials der Deutschen Provinz an die Betroffenen in Berlin sind seitens des Ordens in gleicher Weise an diejenigen gerichtet, die auch an anderen Orten zu Opfern geworden sind: „Diese Opfer tragen belastende Erinnerungen mit sich und erheben jetzt ihre Stimme. Ich danke ihnen dafür. Ich bitte sie im Namen des Ordens um Entschuldigung für alle Missbräuche, die sie erlebt haben. Ebenso bitte ich um Entschuldigung für das, was von Verantwortlichen des Ordens damals an notwendigem und genauem Hinschauen und angemessenen Reagieren unterlassen wurde.“