Ordensgemeinschaften in Deutschland

"Eine Zeit, von der wir noch lange zehren werden"

Nirgendwo sonst habe sie das gemeinsame Leben in Glauben und Gebet so stark erlebt wie beim Projekt in Münster, fasst eine junge Ordensfrau ihr Erleben zusammen.

15 Novizinnen aus elf Gemeinschaften nahmen am interfranziskanischen Noviziat im Katharinenkloster in Münster teil – Heribert Frieling hat sie dort besucht und berichtet von seinen Beobachtungen.

MÜNSTER Es war ein Experiment. Novizinnen aus allen franziskanischen Gemeinschaften des deutschsprachigen Raumes einzuladen, dass sie drei Monate ihrer Ordensausbildung gemeinsam verbringen und gestalten, dabei die franziskanische Spiritualität in ihrer ganzen Vielfalt und gleichzeitig Gemeinschaft noch einmal neu erleben lernen, dazu gehört schon eine ganze Menge Mut. Oder die Erkenntnis, dass viele Gemeinschaften angesichts der Überalterung und des fehlenden Nachwuchses in zehn oder 15 Jahren womöglich nur gemeinsam mit anderen weiterbestehen und das franziskanische Charisma in die Zukunft tragen können. „Und dann müssen sie rechtzeitig aufeinander zugehen und sich miteinander vernetzen“, sagt Schwester Christina Mülling. Die Sießener Franziskanerin ist Geschäftsführerin der INFAG, der Interfranziskanischen Arbeitsgemeinschaft, und hat zusammen mit Schwester Marie Sophie Schindeldecker (ebenfalls aus Kloster Sießen) und der Waldbreitbacher Franziskanerin Schwester Michaele Rohde das dreimonatige Interfranziskanische Noviziat im Katharinenkloster in Münster von Ende Juni bis Ende September begleitet.

Was wohl auf sie zukommen würde, das haben sich die meisten Teilnehmerinnen spätestens auf dem Weg nach Münster gefragt. Junge Ordensleute aus anderen Gemeinschaften hatten sie alle schon bei unterschiedlichsten Gelegenheiten getroffen. Aber mit Menschen, die einem unbekannt und fremd sind, unter einem Dach Gemeinschaft in Glauben und Gebet leben zu sollen, wie es eine Teilnehmerin formulierte, das war doch eine besondere Herausforderung. Vor allem aber eine Chance, dass die (nennen wir sie) Einzelkinder mit Gleichaltrigen Gemeinschaft erleben und erfahren dürfen, dass es durchaus noch andere junge Menschen gibt, die sich für diese Lebensform entschieden haben. Allein das kann schon eine beglückende Erfahrung sein.

Auf der Mitgliederversammlung der INFAG vor zwei Jahren sei der Leidensdruck (endlich) groß genug gewesen, erinnert sich Schwester Christina. Da habe man das Projekt Interfranziskanisches Noviziat „mit viel Begeisterung“ beschlossen. „Schließlich müssen wir alles daran setzen, unsere franziskanische Spiritualität in die Zukunft zu führen“, sagt sie. Ein Planungsteam unter der Leitung von Schwester Evamaria Durchholz, sie gehört der Ordensleitung der Waldbreitbacher Franziskanerinnen an, und Schwester Isabel Westphalen von den Dillinger Franziskanerinnen entwickelte das Programm, das in der franziskanischen Welt breite und wohlwollende Zustimmung fand.

15 Novizinnen aus elf Gemeinschaften aus Deutschland, Österreich und Südtirol trafen sich dann letztlich Ende Juni in Münster. Das Altersspektrum reichte von 21 bis 38 Jahren, ähnlich vielfältig und damit auch bereichernd war ihr beruflicher Hintergrund: Der reichte von der Gärtnerin bis zur promovierten Theologin. Dass die Frauen unter sich blieben, hatte einen einfachen Grund: Die Kapuziner und Minoriten hatten im Vorfeld abgewunken, die Franziskaner hatten nur einen einzigen Kandidaten, der in Frage gekommen wäre. – Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.

Themen wie franziskanische Sendung heute; Menschwerdung; Geschwisterlichkeit oder Leben in Gemeinschaft; die Gelübde, also Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam; kreative Bibelarbeit; die Arbeit mit den franziskanischen Quellenschriften; und franziskanische Kontemplation standen in den drei Monaten auf dem Stundenplan. Exerzitien bildeten den Anfang und das Ende des gemeinsamen Noviziates. Die Referentinnen und Referenten kamen (folgerichtig) weitgehend aus dem franziskanischen Milieu. Weil sie oftmals auf Honorar verzichteten und viele Gemeinschaften das Projekt auch finanziell unterstützten, lagen die Kosten pro Teilnehmerin gerade einmal bei 3.000 Euro.

Damit diese drei Monate nicht nur spirituell anspruchsvoll, sondern auch handfest und praxisnah wurden, absolvierten die Teilnehmerinnen montags und dienstags ein Praktikum an sozialen Brennpunkten der Stadt Münster – in der Bahnhofsmission oder bei der Obdachlosenhilfe; in einem Familienzentrum oder einer Behinderteneinrichtung; oder der Waschküche der Alexianer. Als Türöffner hatten hier nicht zuletzt die Mauritzer Franziskanerinnen gewirkt; wie überhaupt die Unterstützung seitens der Münsteraner Ordensgemeinschaften vorbildlich war, wie Schwester Christina und Schwester Marie Sophie betonen.

Wenn man bei einem Kurs ein paar Tage miteinander verbringt, dann braucht man sich nicht richtig in die Gruppe einzubringen. Wenn man allerdings drei Monate zusammen lebt und arbeitet, dann setzt ein gruppendynamischer Prozess ein. Mit allen damit verbundenen Höhen und Tiefen. Aber: „Wir haben von Anfang an als Gruppe funktioniert“, berichtet eine Teilnehmerin. Nicht einmal bei so alltäglichen Fragen wie Wurst oder Käse (morgens und abends hat sich die Gruppe selbst versorgt, nur mittags durften sich die Novizinnen an den gedeckten Tisch setzen) gab es Stress.

Vielmehr waren diese drei Monate „eine Zeit, von der wir noch lange zehren werden“. Nirgendwo sonst habe sie das gemeinsame Leben in Glauben und Gebet so stark erlebt wie hier in Münster, fasst eine junge Ordensfrau ihr Erleben zusammen. In dieser Runde sei schnell Vertrauen und Vertrautheit gewachsen, so dass man offen auch über so sensible Themen wie die Gelübde habe sprechen können, ergänzt eine andere. Und die unterschiedlichen Ausformungen der franziskanischen Spiritualität und die damit verbundenen unterschiedlichen Formen der Lebensvollzüge kennenzulernen, das haben sie alle als Bereicherung erfahren. Und dabei festgestellt, „dass ich in meiner Gemeinschaft richtig bin“.

In Münster haben sich Freundschaften entwickelt, und der Wunsch, über die Zeit des Interfranziskanischen Noviziates hinaus in Kontakt zu bleiben, ist groß. Wie dieses Gemeinschaftsprojekt der franziskanischen Familie weitergeht, steht noch nicht fest. Man wird es gemeinsam reflektieren und auswerten. Die Novizinnen, die Teil dieses Experimentes in Münster waren, sind da schon einen Schritt weiter. „Wir sind dankbar, dass wir dabei sein durften“.