Ordensgemeinschaften in Deutschland

Wie geht eigentlich Ordensausbildung heute? (Teil 1/2)

orden.de hat mit der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Formationsleiterinnen, Sr. Ursula Hertewich, gesprochen...

Wie funktioniert Ordensausbildung heute, welche Rolle spielen die Ausbildungsleiterinnen und –leiter dabei und was ist Menschen wichtig, die heute ins Kloster kommen? Was sind Unterschiede zwischen heute und früheren Zeiten? Über diese Fragen hat orden.de mit Sr. Ursula Hertewich gesprochen, Arenberger Dominikanerin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Formationsleiterinnen bei der DOK. Das Interview besteht aus zwei Teilen, Teil zwei finden Sie hier in wenigen Tagen.

orden.de: Wie funktioniert Ordensausbildung heute?

Sr. Ursula Hertewich: Es ist zunächst erstmal schwer zu sagen, wie Ordensausbildung heute funktioniert, weil es in den Gemeinschaften sehr große Unterschiede gibt. Ich habe vor zwei Jahren den Noviziatsleiterkurs der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) mitgemacht und da haben wir natürlich ganz viel darüber gehört. Ich glaube, im Unterschied zu früher ist die Bedeutung der Ordensausbildung heute nochmal eine ganz andere. Früher wurden alle über einen Kamm geschoren; da gab es ganz viele verschiedene Novizinnen und Novizen in den Gemeinschaften und die wurden alle in ein bestimmtes Schema reingepresst. Heute ist diese Ordensausbildung auf jeder Ebene viel individueller. Die Gruppen derer, die eintreten – wenn es überhaupt Gruppen sind – sind so unterschiedlich von ihrer Sozialisierung her, von ihrer religiösen, katholischen Sozialisierung her, von ihrem Lebenslauf her, dass ich, selbst wenn nur zwei Novizinnen da sind, spüre, dass es teilweise gar nicht mehr so möglich ist, denen die gleiche Ausbildung angedeihen zu lassen. Denn sie haben unterschiedliche Voraussetzungen und brauchen Unterschiedliches. Ich glaube, das ist ein Riesenunterschied zu früher, wo es ein bestimmtes Unterrichtsschema gab, das man im Noviziat gelernt hat. Heute wird geschaut: Wo steht diejenige, die gerade eintritt? Was ist jetzt für sie wichtig – auch an Weiterbildung, an geistlicher Begleitung – und welche Entscheidungen stehen an? Das ist heute sehr viel individueller, als es früher war; zumindest nehme ich das in unserer Gemeinschaft so wahr. Was aber auch bemerkenswert ist, ist dass es in den verschiedenen Gemeinschaften auch ganz unterschiedliche Standards von Ordensausbildungen gibt. Das erleben wir in der Arbeitsgemeinschaft der Formationsleiterinnen (AGF) immer wieder als sehr schwierig. Es gibt keine bestimmte Regel, an die sich alle Gemeinschaften halten, sondern es gibt Gemeinschaften, die sind top aufgestellt, die sind psychologisch sehr bewandert, die haben tolle Noviziatsmeisterinnen. Es gibt aber auch Gemeinschaften, da läuft das ab wie vor 50 Jahren. Es gibt keinen allgemeingültigen Standard, den sich die Gemeinschaften setzen, sondern da ist jede Gemeinschaft selbst verantwortlich. Das macht uns manchmal ein bisschen Kummer, denn wir als AGF hätten schon gern eine Art „Qualitätsstandard“. Aber das ist unglaublich schwer, weil die Gemeinschaften ja alle selbstständig sind, keine Gemeinschaft kann der anderen vorschreiben, wie sie Ordensausbildung zu machenhat. Es gibt aber sehr, sehr viele, die sich gut aufgestellt haben und top ausgebildete Noviziatsleitungen haben, was eine sehr erfreuliche Entwicklung ist. 

orden.de: Sehen Sie da Unterschiede zwischen Frauen- und Männergemeinschaften?

Sr. Ursula: Sowohl bei Frauen als auch bei Männern gibt es Gemeinschaften, die ganz die alte Schiene fahren und Gemeinschaften, die sich neu orientieren und sich den heutigen Verhältnissen angepasst haben. Ich glaube, das ist keine Frauen- und Männerfrage.

orden.de: Provokant gefragt: Wenn weniger Menschen ins Kloster eintreten – ist das nicht insofern gut, als dass man die Zeit hat, jedem Einzelnen gerecht zu werden?

Sr. Ursula: Da sind wir natürlich in der „Luxussituation“, dass die meisten Gemeinschaften im Noviziat „Einzelkinder“ haben. Das ist auf der einen Seite eine Riesenchance, auf der anderen Seite aber natürlich auch eine ganz große Herausforderung, denn es soll sich ja nicht alles um den eigenen Gusto drehen. Deswegen ist das wirklich eine Gratwanderung. Ich habe früher erlebt, dass in diesen großen Gruppen manche Schwestern irgendwo untergegangen sind. Die, die am wenigsten gemuckt haben, die, die immer brav alles gemacht haben, was gefordert war, die sind durchgehuscht – und das sind nicht unbedingt die Schwestern, die ich heute als glücklich erlebe. Eine alte Mitschwester hat mir mal gesagt – das hat mich total berührt: „Bei Ihnen wäre ich nicht so durchs Noviziat gehuscht. Da hätte es viel mehr Konfrontation gegeben, da hätte es vielleicht auch viel mehr Streit gegeben.“ Aber sie schätzt es total, dass die Begleitung so individuell geworden ist, das hätte sie gerne gehabt. Es sind einfach keine großen Gruppen mehr – wenn doch, müsste man sich was einfallen lassen, weil wir so keine großen Gruppen begleiten könnten. Deswegen ist das eine wichtige Frage. Es geht eben nicht um Individualismus, sondern darum, diesen Menschen gerecht zu werden, mit dem, was sie brauchen.  Und es gibt trotzdem immer noch genug Dinge, wo alle irgendwie durch müssen, was keiner vielleicht so wirklich toll findet. Aber es ist natürlich auch anspruchsvoll, so mit den eigenen Lebensthemen konfrontiert zu werden. Die Situation ist einfach so, wie sie ist und ich schätze es sehr, dass es denen, die bei uns eintreten, auch wirklich dient. Selbst die, die unsere Gemeinschaft nach dem Noviziat wieder verlassen, sagen, dass es eine gute Zeit für sie war.

orden.de: Was ist Menschen, die heute ins Kloster eintreten, wichtig? Welche Themen bringen sie mit?

Sr. Ursula: Was sich grundsätzlich verändert hat ist, dass diejenigen, die anfragen, total unterschiedlich sind. Ich glaube früher gab es diese klassischen katholischen Lebensläufe: in einer katholischen Familie groß geworden, das ganze irgendwie mit der Muttermilch aufgesogen und sich dann irgendwann entschieden, ins Kloster zu gehen. Diese klassischen Lebensläufe gibt es heute nur noch bei etwa 1-2% derer, die bei uns „anklopfen“. Die allermeisten, die sich bei uns gemeldet haben, bringen als ihr Lebensthema die Frage mit, was Leben wirklich bedeutet. Was ist der tiefere Sinn? Wo ist der Grund, der mich trägt, wenn alles wackelt? Es gibt nicht wenige junge Menschen, die es leid sind, sich ständig entscheiden zu müssen. Es wird wie ein Fluch wahrgenommen, dass es in der heutigen Welt alle Menschen permanent vor Entscheidungen gestellt werden, wo früher Dinge einfach vorgegeben waren. Gerade von kontemplativen Gemeinschaften habe ich schon öfter gehört, dass es als angenehm empfunden wird, dass es ein strenges Regelwerk und eine feste Tagesstruktur gibt. Das ist bei manchen ein großes Bedürfnis. Was ich in unserer Gemeinschaft wahrnehme, ist, neben dieser Suche nach dem tragenden Grund, dass viele kommen, die familiär da keinen Hintergrund haben, aber sich dennoch auf die Suche machen nach dem tieferen Sinn. Das finde ich immer wieder sehr berührend.

Es gibt also nicht mehr „den Typ Mensch“, der eintritt. Es haben auch viele Menschen Ordensinteresse, die konvertiert sind und sich neu für die Kirche begeistern. Es gibt vielleicht verschiedene Gruppen, zum Beispiel die, die ein perfektes Leben führen wollen. Aber das ist inzwischen sehr heterogen.

orden.de: Welche Chancen sehen Sie angesichts dieser neuen Situation?

Sr. Ursula: Ich sehe darin große Chancen. Ich bin jetzt seit sechs Jahren Noviziatsleiterin und mir macht die Arbeit zunehmend Freude. Ich finde die Komplexität schön, in der Ausbildung heute funktioniert. Ich merke auch, dass es mich total interessiert, dass viele starke Individuen da am Start sind. Das sind keine Mädels, die gerade Abitur gemacht haben und eigentlich nichts vom Leben wissen, sondern tendenziell sind es eher reifere Menschen, die bei uns anklopfen, die natürlich auch mehr fordern. Aber wenn ich überlege, was Ordensleben uns heute abverlangt, braucht es genau diese starken Persönlichkeiten, um dieses Leben leben zu können. Auch wenn das in vielerlei Hinsicht wesentlich anspruchsvoller ist als früher, habe ich da viel Freude dran, denn es sind Persönlichkeiten, die viel Frucht bringen können. Ich glaube nicht, dass heute jemand im Kloster leben kann, dessen größte Motivation Anpassung ist oder der einfach nicht auffallen will. Und wer kommt, braucht eine starke Begleitung und ein starkes Gegenüber. Und das finde ich sehr positiv.