Ordensgemeinschaften in Deutschland

Jesuiten appellieren an EU-Gipfel

Protest gegen die Darstellung von Migranten als Bedrohung für Europas Wohlstand und Stabilität - Migrationsströmen und Finanzflüssen stehen in Beziehung.

Am Mittwoch und Donnerstag treffen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zu einem informellen Gipfel in Salzburg. Zentrales Thema: Migration und Flucht in die EU. Vor dem EU-Gipfel haben die Oberen der afrikanischen, deutschen und österreichischen Jesuiten einen Brief an die österreichische EU-Ratspräsidentschaft geschickt. Darin protestieren sie gegen die Darstellung von Migranten als Bedrohung für Europas Wohlstand und Stabilität und verweisen auf die Beziehung zwischen Migrationsströmen und Finanzflüssen. Orden.de dokumentiert die Meldung der deutschen und afrikanischen Jesuiten sowie der Jesuitenmission.

Nairobi, Nürnberg, München, Wien - Am 31. Juli haben die Oberen der afrikanischen, deutschen und österreichischen Jesuiten einen Brief an die österreichische EU-Ratspräsidentschaft, zu Händen von Außenministerin Dr. Kneissl, geschickt mit dem Titel „Flows of migrants, flows of money.“ Darin protestieren sie gegen die Darstellung von Migranten als Bedrohung für Europas Wohlstand und Stabilität und verweisen ihrerseits auf die Beziehung zwischen Migrationsströmen einerseits, und ausbeuterischen Finanzflüssen andrerseits. Bislang wurde dieser Brief nicht beantwortet.

„Derzeit fließt mehr Geld illegal oder illegitim aus Afrika ab, etwa durch aggressive Steuervermeidung, Steuerhinterziehung oder Geldwäsche, als durch Entwicklungshilfe und ausländischen Direktinvestitionen insgesamt nach Afrika hineinfließt“, sagt Pater Agbonkhianmeghe Orobator, Präsident der afrikanischen Jesuiten. „Wenn Europa afrikanische Länder bei der Unterbindung solcher Abflüsse unterstützt, könnten diese mehr Gelder abschöpfen, um in Infrastruktur, Bildung oder Gesundheitsfürsorge zu investieren. Dies wird längerfristig Menschen bewegen, in Afrika zu bleiben und schließlich illegale Migration austrocknen.“

Komplexe Probleme erfordern komplexe Lösungen

Es gilt sich bewusst zu machen, dass 2035 ca. 450 Millionen junge Afrikaner einen Arbeitsplatz benötigen, während vermutlich bestenfalls 110 Millionen Jobs geschaffen werden – und schon jetzt ist die Mehrzahl junger Menschen in Afrika arbeitslos. In einem solchen Kontext bieten Internet und Social Media Schleusern eine Plattform, um junge Menschen durch das Versprechen anzuwerben, dass es anderswo Jobs und Wohlstand für sie gibt.

Um die Anzahl potenzieller Emigranten, oder den Einfluss solcher Dienstleister (Schleuser) zu verringern, bedarf es mehr als Grenzbefestigung oder mehr Entwicklungshilfe:

  • Der geeignetste Weg zur Verringerung illegaler Migration ist die Schaffung von transparenten, legalen Migrationsoptionen. Entsprechend sollten hier existierende Optionen auf mögliche weitere, beidseitige Win-Win-Situationen überprüft werden.
  • Ein Beispiel für Vorstehendes ist etwa, dass die Geld-Rücküberweisungen legaler und illegaler Migranten in ihre Herkunftsländer schon jetzt die Höhe an Entwicklungshilfe um ein Mehrfaches übersteigt. Diese Geldflüsse fördern keine Korruption, weil sie direkt an die Familien geschickt werden, sie haben ein beachtliches Potential zur Armutsverringerung und zu kleinen Investitionen. Dieser positive Effekt könnte gesteigert werden, wenn westliche Länder endlich ihr Versprechen wahr machen, die Gebühren für solche Überweisungen zu senken.
  • Ebenso sollte bedacht werden, dass ausländische Direktinvestitionen wesentlich wichtiger als Entwicklungshilfe sind. Die Schaffung von Anreize für entwicklungsförderndes Engagement hier ist von herausragender Bedeutung für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei müssen zugleich Vorkehrungen getroffen werden, damit solche Investitionen Investoren, Arbeitern und der politischen Gemeinschaft gleichermaßen nützen, indem etwa soziale und ökologische Standards ebenso sichergestellt werden wie die Zahlung angemessener Steuern.

Afrika ist jedoch kein Monolith, die afrikanischen Länder sind sehr verschieden. P. Agbonkhianmeghe Orobator: „Es heißt, dass Afrika der Kontinent von hohem Potenzial ist, aber wir brauchen eine differenzierende Debatte: Für Staaten mit guter Regierungsfähigkeit (‚governance‘) sind ausländische Direktinvestitionen der Schlüssel zu mehr Wohlstand, für Staaten mit schlechter Regierungsfähigkeit sind Geld-Rücküberweisungen wichtig für das Überleben von vielen.“

Politische Strategien sind verhandelbar, Menschenrechte nicht

Im Einsatz gegen illegale Migration ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika erforderlich. P. Johannes Siebner, Provinzial der deutschen Jesuiten, erklärt: „Wir sehen ein hohes Ausmaß an gegenseitigem Nutzen in der Entwicklung und Vertiefung von Beziehungen: Bei einem faireren Handel, beim Austausch von Technologie und natürlichen Ressourcen, oder dem Ausgleich zwischen europäischem Bevölkerungsschwund und afrikanischem Bevölkerungswachstum. Europa und Afrika sind verbunden durch die gemeinsame Unterzeichnung der Nachhaltigen Entwicklungsziele, des Pariser Klimaabkommens des anstehenden Global Compact on Migration und anderer Abkommen. All dies muss in pragmatische und verbindliche Politik und Verträge zur Steigerung des wechselseitigen Nutzens übertragen werden und wir Jesuiten sind bereit, hier Brücken zu bauen. Dies sind die Themen, die beim informellen EU Ratsgipfel in Salzburg besprochen werden müssen, nicht die Grenzsicherung, die „Sophia“ Mission im Mittelmeer, die Schließung von Häfen, oder die Schaffung von ‚Anlandezentren‘ in Nordafrika.“

Abschließend und besonders wichtig: Alle Migranten sind Menschen und verdienen Respekt aufgrund ihrer menschlichen Würde. Diese Würde sehen wir verletzt in nordafrikanischen Transitländern, der Überquerung des Mittelmeers ohne den Zugang zu Häfen, oder in überfüllten Flüchtlingslagern. Deshalb unterstützen wir Papst Franziskus‘ Appell zum diesjährigen 104. Welttag der Migranten, den Zugang zu Humanitären Visa zu verbessern, insbesondere für jene, die eine Familienzusammenführung anstreben, oder die vor Gewalt und Naturkatastrophen fliehen.