Ordensgemeinschaften in Deutschland

Ordenseinsatz im Krisengebiet Afghanistan

„Plötzlich sah ich einen Wagen mit vier bewaffneten Männern. Sie begannen, auf das Schulgebäude zu schießen und wir rannten um unser Leben.“

Kaum ein Thema ist in der Gesellschaft und den Medien so präsent wie die aktuelle Flüchtlingskrise. Mittlerweile wird immer deutlicher, dass das eigentliche Problem nur in den Herkunftsländern der Flüchtlinge gelöst werden kann. orden.de stellt die Arbeit dreier Ordensgemeinschaften vor, die "Wurzelarbeit" in den Krisengebieten der Erde leisten...

Unser Auftrag als Mitglieder des Jesuitenordens ist es, an die Grenzen zu gehen. Und damit sind nicht nur geographische Grenzen gemeint. Es geht darum, dass wir uns in schwierigen Lagen für die Armen und Ausgegrenzten dieser Welt einsetzen – unabhängig von Religion, Kultur, Herkunft. Dass dies nicht immer ungefährlich ist, zeigt das Beispiel Afghanistan. Am 2. Juni 2014 erreichte uns eine Schreckensmeldung: Alexis Premkumar, indischer Jesuit und Landesdirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) in Afghanistan, war nach dem Besuch einer Schule, die sich vor allem auch für die Bildung von Mädchen einsetzt, von einer Taliban-Gruppe entführt worden. Es folgten lange Monate der Ungewissheit, bis Pater Prem im Februar 2015 auf Vermittlung der indischen Regierung freigelassen wurde. Am Jahrestag seiner Entführung war er bei uns in der Jesuitenmission in Nürnberg und hat von der Gefangenschaft erzählt.

 

Jesuiten in Afghanistan

„Seit 2011 habe ich in Afghanistan für den Flüchtlingsdienst der Jesuiten gearbeitet. Und ich bin sehr gerne dort gewesen “, betont der 48-jährige Jesuit, den alle Prem nennen. „Wir haben hauptsächlich im Bildungsbereich gearbeitet. Das Land war fast 30 Jahre im Krieg und es braucht gut ausgebildete Leute, um die Kinder zu unterrichten. Ich war sehr froh, Teil dieser Mission zu sein. Wir haben in Universitäten unterrichtet, mit Schulen zusammengearbeitet und mit lokalen Gemeinschaften.“ Im Jahr 2005 haben die Jesuiten beschlossen, in Afghanistan zu helfen. Indische Jesuiten haben seitdem eine technische Schule in Herat wiederaufgebaut, Englischkurse für angehende Lehrerinnen und Lehrer in Bamiyan und Daikundi gestartet, die Bildung von Mädchen gefördert, an der Universität in Kabul unterrichtet und eng mit dem Bildungsministerium zusammengearbeitet. Sie haben sich nicht in die gesicherten Viertel für Ausländer zurückgezogen. Sie haben das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen, ein Netz an lokalen Mitarbeitern aufgebaut, sich dem einfachen Lebensstil ihrer Nachbarn angepasst, die Sprache gelernt, Kultur und Religion respektiert. Sie haben das in Afghanistan herrschende Missionsverbot beachtet und sind nie öffentlich als Priester aufgetreten. Ihre Arbeit und ihre Anwesenheit ist in all den Jahren sehr geschätzt worden. Umso größer ist der Schock, dass ausgerechnet einer von ihnen entführt wird.

 

„Bald bist du tot!“

„Wir sind vorher gewarnt worden“, erzählt Prem. „Kurz zuvor war das indische Konsulat in Herat attackiert worden und in Sohadat hörten wir, dass wir Inder sehr vorsichtig sein sollten.“ Sohadat ist eine triste Siedlung mitten in karger Sand- und Felslandschaft für afghanische Flüchtlinge, die aus Pakistan und Iran in die Heimat zurückgekehrt sind. Die Jesuiten unterstützen dort seit langem eine kleine Schule. Alles wirkt ruhig, als Prem an jenem Tag in der Schule ankommt, um mit der Schulleiterin und den Lehrern die nächsten Wochen zu planen. „Plötzlich sah ich einen Wagen mit vier bewaffneten Männern. Sie begannen, auf das Schulgebäude zu schießen und wir rannten um unser Leben.“ Alles geht auf einmal sehr schnell. Die Männer packen Prem, zwingen ihn in das Auto und fahren davon. „Ich musste mich auf den Wagenboden legen. In einem Dorf hielten wir an, um zu essen. Kinder umringten uns und ich versuchte, mich mit ihnen zu unterhalten. Ein kleiner Junge schaute mich nur an und deutete mit einer Geste eine durchgeschnittene Kehle an. So als wollte er sagen: Bald bist du tot! Das hat mir Angst gemacht und gleichzeitig taten mir die Kinder leid. Was wird wohl aus ihnen in der Zukunft?“

 

Gefesselt in Felsenhöhlen

Während sich die Nachricht von Prems Entführung in Windeseile verbreitet, beginnt für Prem eine achtmonatige Leidenszeit. Seine Entführer verschleppen ihn an insgesamt neun verschiedene Orte im Land, immer wieder wird er an andere Taliban-Gruppen übergeben. Oft geht es in die Berge, manchmal dienen Felsenhöhlen als Quartier. Es sind lange Tage der Ungewissheit und des Ausgeliefertseins. Fluchtgedanken, Rebellion, Tränen, Schmerz, Todesangst, Todessehnsucht, Zorn, Hoffnung, Enttäuschung – Prem kämpft in den 256 Tagen der Gefangenschaft mit vielen Stimmungen und Gefühlen. „Was mich gerettet hat, sind die ignatianischen Exerzitien“, erklärt Prem. Die Gebetsübungen, die auf den Ordensgründer Ignatius von Loyola zurückgehen, betrachten anhand biblischer Meditationen verschiedene Aspekte und Situationen im Leben Jesu, um so für das eigene Leben Antworten und eine Ausrichtung auf Gott zu finden. Die Entführer lassen ihm Raum und Zeit für die Meditationen. „Sie haben mich niemals gezwungen, auf ihre Weise zu beten. Sie sagten nur immer: Wenn du wie wir betest, bist du ein richtiger Muslim und du kommst in den Himmel. So wie du betest, ist es kein richtiges Gebet und du kommst in die Hölle.“ Über ein batteriebetriebenes Radio, das ihm seine Entführer stundenweise geben, hält Prem Kontakt zur Welt. Nach mehr als acht Monaten Gefangenschaft wird er freigelassen. „Niemand soll erleben müssen, was mir geschehen ist“, sagt Prem rückblickend. „Du weißt nie, was im nächsten Moment passiert und du fühlst dich die ganze Zeit gewissermaßen tot. Aber mein Glaube ist in dieser Zeit viel intensiver geworden. Und wenn meine Oberen es wollen, würde ich jederzeit wieder nach Afghanistan gehen. Denn die Arbeit dort geht weiter.“