Ordensgemeinschaften in Deutschland

Missionsköpfe: Br. Lothar Wagner SDB

Für Br. Lothar Wagner SDB geht es vor allem darum, trotz allem, was schiefgehen könnte, niemals aufzugeben. Exemplarisch zeigt sich das in seiner Arbeit in Afrika...

Missionsköpfe - das sind Ordensfrauen und Ordensmänner, die mit ihrem Leben und ihrem Tun für ein modernes Missionsverständnis stehen, etwa im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils, auch wenn sie zum Teil schon vor dem Konzil gelebt und gewirkt haben. Anlässlich des außerordentlichen Monats der Weltmission im Oktober 2019 und dem damit verbundenen Themenschwerpunkt "Mission" auf orden.de im 2. Halbjahr 2019 werden hier und im Themenbereich Mission einige von ihnen exemplarisch portraitiert.

Br. Lothar Wagner SDB aus Aach bei Trier lebt seit knapp 20 Jahren in Afrika. Seit 2018 kümmert sich der Sozialarbeiter und Ordensmann um traumatisierte Straßenkinder und ehemalige Kindersoldaten im Südsudan. Als Koordinator für Kindesschutz fordert er eine ganzheitliche und psychosoziale Begleitung junger Menschen- um den Frieden im Land zu sichern. Seine Mission: „In jedem dieser jungen Menschen, der die Kreuzwege unserer Zeit geht, begegnet mir Jesus Christus. Ich möchte, dass sie die beste pädagogische Begleitung und Ausbildung bekommen!“

Als Lothar Wagner vor über 25 Jahren Salesianer wurde, suchte er sich einen Spruch aus der Apostelgeschichte aus. Vers 4,20 ist für ihn Motivation, Ansporn und Kraftquelle:

"Wir können unmöglich schweigen, über das, was wir gesehen und gehört haben"

Gesehen und gehört hat Lothar Wagner viel, über das er nicht schweigen kann. In Freetown, Sierra Leone, wo der 46jährige fast zehn Jahre ein Wohnheim für Straßenkinder und missbrauchte Mädchen leitete, lag sein Büro direkt neben dem einer Frau, die als Beschneiderin arbeitete. Die Schreie der 12-jährigen Mädchen während sie verstümmelt wurden, waren noch bei geschlossenen Fenstern zu hören. Für ihn waren sie nicht nur markerschütternd, sondern auch ein Auftrag, diese Gewalt an Kindern nicht hinzunehmen. Ihm reicht es nie, nur die Symptome zu kurieren und sich um die Opfer zu kümmern. Wagner will immer auch an die Ursachen. Das ist langwierig und mühsam, doch die Langstrecke liegt ihm. Früher, als er noch Marathons lief schaffte er die 42 km in 3.09 Stunden.

Begonnen hat das mit Lothar Wagner und Afrika in Ghana, wo die deutsche Provinz der Salesianer besonders enge Beziehungen unterhält. Nach der Jahrtausendwende fand er dort als Missionar vergleichsweise komfortable Bedingungen vor, ein prosperierendes Land auf einem guten Weg. Der Wechsel nach Sierra Leone Mitte der 2000er Jahre war umso härter. Als er mit einem Entwicklungshelfer kurz nach seinem Wechsel aus Ghana darüber sprach, sagte dieser zu ihm. „Ghana ist was für Anfänger.“

Die Herausforderungen und Probleme in Freetown waren riesig. Seit einem Jahr erst gab es wieder Strom in der vom Bürgerkrieg gezeichneten Stadt. Tausende ehemalige Kindersoldaten und Kämpfer mussten wieder in die Gesellschaft integriert werden. Kaum eine Familie hatte keine Toten beerdigt oder erlebt, wie das Zuhause zerstört wurde. Konsequent baute Lothar Wagner das „Don Bosco Fambul“ zu einem professionellen Kindesschutzzentrum auf, bildete die Mitarbeiter fort und etablierte Strukturen, wie sie auch in Deutschland standardmäßig in der Arbeit mit traumatisierten Kindern Anwendung finden. Für ihn war das immer auch irgendwie ein Traumjob. Er bewundert die Menschen in Sierra Leone und anderswo in Afrika wegen ihrer guten Laune und ihrer inneren Ruhe. „Hier stirbt keiner an einem Herzinfarkt, das kenne ich nur aus Deutschland.“ Immer wieder sieht Lothar Wagner seine Mission darin, zu den wirklich ausgegrenzten jungen Menschen der Gesellschaft zu gehen und sie behutsam wieder aufzurichten. In Sierra Leone war er lange auch im Pademba Gefängnis tätig. Mit Don Bosco Fambul baute er im Gefängnis eine Klärgrube, installierte Waschgelegenheiten und etablierte ein Therapiezentrum mit täglichen Angeboten, flankiert von Eucharistiefeiern und Gebetszeiten. Auch aus dieser Hölle konnte Lothar Wagner etwas Wichtiges mitnehmen. „Ich bin hier bei den ganz großen Themen. Vergebung, Sühne, Schuld, Ungerechtigkeit - ich kann meine christliche Überzeugung hier ungefiltert überprüfen.“

Während der Ebola-Epidemie warnte Wagner frühzeitig vor der Katastrophe und versuchte, die Regierung zu mehr Gesundheits- und Präventionsmaßnahmen zu überreden. Und erst als die Opferzahlen in die Tausenden gingen, reagierte auch die Welt. Für Wagner war die späte Reaktion ein Zeichen des „Totalversagens der internationalen Gemeinschaft“.

Ähnliches spielt sich seit Jahren auch im Südsudan ab, wo trotz vermeintlichem Frieden der 50-jährige Bürgerkrieg immer wieder aufflammt. Das Land scheint von der Welt aufgegeben, die UN versagt seit Jahren an ihren selbstgesteckten Minimalzielen. Umso wichtiger sei es, die Menschen hier nicht aufzugeben und Zeichen zu setzen. Aktuell lebt Wagner in Wau, der zweitgrößten Stadt des Landes. „Ziel unserer Trauma- und Sozialarbeit ist es, Kinder und junge Menschen wieder mit ihrer Familie zusammenzuführen. Das ist oft langwierig und schwierig, wir erleben immer wieder Rückschläge. Aber ich erlebe auch immer wieder schöne Momente. Wenn ich etwa am Abend eine Stunde Tom und Jerry mit den Jungs gucke und da 18-jährige ein Stück alberne Kindheit nachholen. Das gibt mir Kraft und das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.“

(von Ulla Fricke)