Ordensgemeinschaften in Deutschland

…dass sie das Leben haben

Wenn mir früher das Wort vom guten Hirten begegnet ist, habe ich meist genervt abgewehrt. Für mich war klar, dass der gute Hirte Jesus ist und gleich nach ihm der Pfarrer. Mich selbst sah ich in die Rolle des Schafes versetzt, das etwas dümmlich hinter seinem Hirten hertrottet. Für mich damals wie heute keine attraktive Vorstellung. Als ich dann zuerst in der Kirche, später in der Gemeinschaft Leitung übernommen und damit selber in eine Hirt(inn)enrolle kam, stellte ich überrascht fest, dass es gar nicht leicht ist, aus dem hierarchischen Hirte-Schaf-Bild herauszukommen. Das hat mich dazu geführt, mich mit dem biblischen Hirtenbild tiefer auseinanderzusetzen.

Das Wort aus dem Johannesevangelium ist mir dabei sehr wichtig geworden: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Hier geht es nicht um eine Rangfolge oder Hierarchie, hier geht es um eine Haltung im Umgang mit den anvertrauten Menschen, eine Haltung, in deren Mitte der Dienst am Leben steht.

Das Gegenbild zu diesem Hirten drückt das Evangelium ziemlich krass aus: „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten“. Man könnte es stattdessen auch mal mit folgenden Fragen versuchen: Dient die kirchliche Macht wirklich der Verkündigung des Evangeliums und den Menschen? Wo verselbstständigt sie sich? Wo fördert und wo behindert sie Erfahrungen der unbegrenzten schöpferischen Lebensmacht Gottes? Diese Fragen stammen aus dem Grundtext Macht und Gewaltenteilung des Deutschen Synodalen Weges.

Die Weiterentwicklung des Hirtenbildes und Hirtendienstes bleibt eine spannende Aufgabe. Wenn wir am „Gut-Hirten-Sonntag“ um geistliche Berufungen beten, ist es wichtig, um Menschen zu beten, die vom Evangelium ergriffen sind und dieses Wort Jesu mit ihrem eigenen Leben und Tun buchstabieren: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“. Das braucht die Kirche, das brauchen wir Orden, das brauchen die Familien und das braucht unsere Gesellschaft.

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Über die Autorin

Sr. M Karin Berger ist Generaloberin bei den Franziskanerinnen von Sießen.

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