Kolumne: Der Schrei
Wenn ich es anschaue, berührt es mich immer wieder zutiefst: Das Bild „Der Schrei“ ist das wohl bekannteste Werk des norwegischen Malers Edvard Munch. Unter einem dunklen, unheilvollen Himmel ist ein mumienhaftes Gesicht zu sehen - ganz Schrei – ganz Angst. Ein großer existentieller Ausruf – wohl in Vorahnung des Ersten Weltkrieges. Und doch ein stummer Schrei: Ein gutbürgerliches Paar schlendert ungerührt weiter. Ein Schrei ins Leere?
Die Mitglieder der Klimaschutzbewegung, die Kunstwerke mit Tomatensuppe begießen, die sich auf Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen festkleben, machen sich lauter bemerkbar und stören unsere geregelten Abläufe. Und ja: Sie überschreiten hier und da die Grenze zur Strafbarkeit. Doch das Motiv ist vielleicht dem von Edvard Munch gar nicht so unähnlich: „Seht ihr das Unheil nicht, das auf uns alle zukommt? Wie könnt Ihr nur einfach so weitermachen? Warum handelt Ihr nicht? Wacht auf, um Gottes Willen: Wacht auf!!!“
Nun hat die Generalstaatsanwaltschaft in München die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung eingestuft und ihre Räume und Büros durchsuchen lassen. Die Vereinigung sei radikal. Mir fällt – als Franziskanerin – dazu Franz von Assisi ein. Auch er wollte nicht mehr mitmachen bei einer Wirtschaftsordnung, die tötet und auch er machte sich strafbar: So verkaufte er Stoffballen seines Vaters, ohne dessen Zustimmung, um von dem Erlös verfallene Kirchen zu reparieren und Arme zu unterstützen. Er wurde als „Radikaler“ vor das bischöfliche Gericht zitiert.
Durch die biblische Brille betrachtet befinden sich die Engagierten der „Letzten Generation“ in guter Gesellschaft mit den Prophetinnen und Propheten. Die prophetische Grundbotschaft ist immer die gleiche: „Bedenkt, wohin der Weg führt, den Ihr eingeschlagen habt und kehrt um. Noch ist es nicht zu spät.“ Anstatt die Klimaschutzorganisation „Letzte Generation“ zu verfolgen, wäre es wichtiger und sinnvoller, auf ihre Botschaft zu hören und endlich mit ganzer Energie für den Klimaschutz einzutreten.