Ordensgemeinschaften in Deutschland

Kolumne: Die vollkommene Freude

Wir befinden uns in einer Zeit der Freude und erwarten das fleischgewordene Wort, die Geburt unseres Erlösers. Die christliche Freude hängt in hohem Maße von unserer Sicht der Welt ab, obwohl sie auf einer ewigen Perspektive beruht.

Aus der christlichen Freude erwächst unsere Haltung gegenüber der Welt. Sie lässt uns zu authentischen Optimisten werden, zu Menschen mit tiefer innerer Freude, die ihre Fröhlichkeit nicht durch ein aufgesetztes Lächeln zur Schau stellen, sondern aus einer gläubigen Gelassenheit heraus bereit sind, das Leben und das eigene Schicksal so anzunehmen, wie es kommt.

Der Glaube an Christus soll uns Freude bereiten und Zuversicht geben, denn im Vertrauen auf Sein Wort dürfen wir getrost davon ausgehen, dass Gott unsere Sache zu einem guten Ende führen wird. Diese tiefe innere Sehnsucht nach Gott ist jedem Menschen ins Herz gelegt. Nur wenn wir Ihn, Gott, in uns suchen und schließlich auch finden dürfen, erleben wir die unbeschreibliche Tiefe der wahren Freude. Verlieren wir Gott jedoch aus dem Blick, laufen wir Gefahr, in die Irre zu gehen.

Menschen, die die ganze Dimension der Freude nicht erfassen und nur oberflächlich nach ihr suchen, werden sehr oft Opfer ihrer Entscheidungen. Denn so viele und unterschiedliche Bedeutungen wie das Wort „Freude“ hat, so unterschiedlich kann man die Freude für sich selbst definieren und leben. So kann es passieren, dass Menschen ihr Leben lang der Freude nachjagen und ihre Sehnsucht niemals gestillt wird, weil sie die eigentliche Bedeutung, die innere Freude, nicht kennen oder nicht nach ihr leben wollen. Die Gefahren bei der Suche nach der Freude werden so lange bestehen, bis wir erkennen, dass die Freude ein Geschenk Gottes ist.

Franziskus hat bei vielen Gelegenheiten von der Freude gesprochen, unter anderem in einer Geschichte aus dem Buch "die Blumen des heiligen Franziskus", die eben diese vollkommene Freude beschreibt. Der Heilige Franziskus von Assisi ist an einem Winterabend mit Bruder Leo zum Kloster unterwegs und stellt diesem die Frage:

„Was ist die vollkommene Freude?“. Da Bruder Leo es nicht weiß, beginnt Franziskus zu erklären: „Bruder Leo, wenn wir bei Unserer Lieben Frau von den Engeln in Portiuncula ankommen, durchnässt vom Regen, erstarrt vor Kälte, mit Kot beschmutzt, erschöpft vor Hunger an die Pforte anklopfen und der Pförtner zornig zu uns spricht: ,Wer seid ihr?', und wir antworten: ,Wir sind zwei von euren Brüdern', und jener sagt dann: ,Das ist nicht wahr, ihr seid eher zwei Landstreicher, zwei Betrüger, die den Armen das Almosen wegstehlen. Packt euch fort von hier!' und wenn er uns nicht öffnet, sondern stehen lässt, wir aber diese Misshandlung und Grausamkeit geduldig, ohne deswegen verwirrt zu werden oder uns zu beklagen, standhaft ertragen und noch Gott dafür danken - Bruder Leo, darin besteht die vollkommene Freude!“

Das ist die Freude eines wahrhaft freien Menschen, aber ist sie auch für den „gewöhnlichen“ Sünder zu erreichen? Der Franziskanismus bezeugt demnach, dass Leiden und Freude sich nicht gegenseitig ausschließen, vorausgesetzt - man leidet mit Christus. Es wird immer ein Leiden geben, das sich in Leib und Seele „festbeißt“. Die Vereinigung mit Christus verwandelt jedoch das Kreuz in vollkommene Freude.

Das ist das Ur-Bild des franziskanischen Menschen: Innerlich das Leiden, das Kreuz – und die daraus resultierende wahrhaftige Freude an der Nachfolge Christi, die nach außen strahlt und für die Mitmenschen erkennbar ist. Zwischen dem einen und dem anderen lebt die Hoffnung, wächst die Zuversicht, erstrahlt die wahrhaftige Liebe. Der Heilige Franziskus lehrt uns, dass wir zu den Quellen zurückkehren müssen, um die wahre Freude zu finden. Dann gewinnt der Mensch ein Lächeln des wahren Glücks.

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Über den Autor

P. Dr. Mateusz Micek OFMConv. ist Guardian und Wallfahrtsseelsorger im Kloster Blieskastel der Franziskaner-Minoriten der Krakauer Provinz e.V.

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