Ordensgemeinschaften in Deutschland

Mitten im Ausbruch von Gewalt und Lüge

In diesen Wochen der österlichen Bußzeit vergegenwärtigen wir uns den Kreuzweg Jesu Christi und versuchen in den vierzehn Stationen seinen "Weg" geistig mitzuerleben. Im Gehen erweisen sich die Stationen als Lebensstationen, die ein Mensch auf seinem Weg bewältigen muss: ungerechtes Urteil, die Not des Versagens vor der übernommenen Aufgabe, die Lösung von Bindungen um der Treue zur eigenen Berufung willen, das Angewiesensein auf mitmenschliche Hilfe … .
Mich berührt in diesen Wochen die Gestalt der Veronika, wie sie uns in der sechsten Station gezeigt wird. Sie steht mitten im Ausbruch von Gewalt und Lüge, hört die um sich schreienden Menschen, die Jesus ihre Verachtung in unterschiedlicher Weise ausdrücken. Sie sieht Jesus, den die Schmerzen, die Schläge und das Blut zu einer abstoßenden Gestalt machen, vor der man Ekel und Schrecken empfand.
Doch Veronika sieht tiefer. Sie lässt sich von der sie umgebenden hasserfüllten Stimmung nicht mitziehen. Unabhängig und souverän folgt sie dem Empfinden ihres Herzens. Sie lässt ihrer Liebe zu Jesus freien Lauf. Die ganze Zärtlichkeit ihres Herzens lässt sie ihn spüren und merkt, dass er - mitten in der von Verachtung und Gewalt durchtränkten Lage - einen Sinn dafür hat. Ein Augenblick inniger Begegnung von Person zu Person, von Herz zu Herz.
Mit René Voillaume möchte ich beten: Gib, o Jesus, dass wir lernen, im ersten Aufschwung unserer Liebe immer gleich bis zu Dir zu gelangen, dorthin, wo Du auf uns wartest: mitten in der schreienden, feindseligen Menge; im Schmutz der staubigen Straßen; hinter einer Kruste von blutiger Spucke; unter den verächtlichen Blicken und dem Gespött der Leute." Heiliger Gott, Heiliger Starker Gott, Heiliger Starker Unsterblicher Gott - erbarme dich unser.

Über die Autorin

Sr. Maria Cordis Reiker ist Generaloberin der Franziskanerinnen vom hl. Martyrer Georg zu Thuine

Homepage der Thuiner Franziskanerinnen