Die Deutsche Ordensobernkonferenz hat sich auf ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung eingehend mit Flucht und Leben in der Fremde befasst. Wie kein anderes Thema bewegt die Menschen in unserem Land die Situation derjenigen, die aufgrund schwieriger Umstände in ihren Heimatländern zu uns gekommen sind oder zu uns drängen. Deutschland hat in den zurückliegenden Monaten gezeigt, dass es ein weltoffenes und gastfreundliches Land ist. Mit großem Einsatz haben viele Menschen sich den Herausforderungen gestellt und tun dies weiterhin.
Als Teil dieser Gesellschaft beteiligen sich nicht wenige Ordensgemeinschaften an diesen Aufgaben, indem sie z.B. Unterkünfte für Flüchtlinge bereitstellen. Ordensfrauen und -männer engagieren sich bei der Integration, bieten menschliche Nähe oder seelsorgerische Begleitung an. Viele Ordenschristen leisten – nicht selten unter Lebensgefahr – Aufbau- und Versöhnungsarbeit in den Herkunftsländern und helfen, die Notlagen der Menschen vor Ort zu lindern.
Zahlreiche Ordensgemeinschaften sind international und multikulturell geprägt und weltweit vernetzt. Daher kennen wir die Komplexität der Ursachen, die für so viele Menschen zu lebensbedrohlichen Konfliktlagen führen. Einfache Antworten darauf gibt es nicht. Dies gilt auch für die Frage, wie wir als Aufnahmegesellschaft den Aufgaben gerecht werden können. Wir nehmen wahr, dass viele Menschen in Deutschland und Europa sich sorgen und ängstigen: Die Herausforderung erscheint als Überforderung. Die Fremden wecken die Angst vor Überfremdung. Ihre große Zahl verstellt den Blick für den Einzelnen und sein Schicksal. Statt Freundschaft anzubieten, entwickeln einige sogar Feindseligkeit. Zunehmend wird diese Stimmungslage mit dumpfer und mit Ressentiments aufgeladener Rhetorik politisch instrumentalisiert. Dies verstärkt ein Klima der Abwehr. Als Christinnen und Christen setzen wir das „Fürchtet Euch nicht“ des Evangeliums entgegen. Jetzt im Jahr der Barmherzigkeit erinnern wir mit besonderem Nachdruck an das Wort Jesu Christi: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). Wer sich auf das christliche Abendland beruft, kommt an diesen Aussagen nicht vorbei. Sie sind Richtschnur und Verpflichtung: Nicht Abschottung durch Mauern, Zäune und neue rechtliche Abgrenzung, sondern zupackende Solidarität und tatkräftige Hilfe sind gefordert.
Die Ursachen der Fluchtbewegungen sind global. Nationale oder gar nationalistische Alleingänge sind deshalb keine Lösung. Ihr Zweck ist oft die Besitzstandswahrung auf Kosten der Solidarität mit den in Not Geratenen. Nationalstaatliche Egoismen tragen zur Verschärfung der Konflikte bei, anstatt sie zu minimieren. Mit Papst Franziskus fordern wir: „Auf die Globalisierung des Phänomens der Migration muss mit der Globalisierung der Nächstenliebe und der Zusammenarbeit geantwortet werden.“ (Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge 2015) Dies bedeutet, dass einzelne Länder mit dem Problem der Aufnahme nicht alleine gelassen werden dürfen. Zu Recht fordern wir in Deutschland die Solidarität anderer Staaten in Europa ein. Umso mehr müssen wir aber auch jene Nachbarstaaten der Krisenregionen unterstützen, die, gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, weitaus mehr Flüchtlinge aufnehmen als wir. Einige unserer Brüder und Schwestern arbeiten in den Lagern in Afrika und dem Nahen Osten. Von daher wissen wir um die z. T. menschenunwürdigen Lebensbedingungen dort. Die „Globalisierung der Nächstenliebe“ verlangt von der Weltgemeinschaft, hier Abhilfe zu schaffen.
Auch bei uns gibt es in Flüchtlingsunterkünften Situationen, die den Menschenrechten und der Menschenwürde widersprechen. Besonders Frauen und Kinder bedürfen eines wirksamen Schutzes vor gewaltsamen und sexuellen Übergriffen.
Wir appellieren an alle Menschen in unserem Land, die gegenwärtige Situation nicht nur vor dem Hintergrund möglicher Gefahren zu beurteilen, sondern vor allem auch ihre Chancen zu erkennen. Wir denken dabei in erster Linie nicht an die ökonomischen Potentiale, die sich mit jungen und evtl. gut ausgebildeten Migranten für eine alternde Gesellschaft ergeben mögen. Die aus der Not geborene Zuwanderung bietet vielmehr die Möglichkeit, in eine Kultur der Begegnungen und eine Begegnung der Kulturen einzutreten. Ein solcher dialogischer Austausch weitet den Blick und den eigenen Horizont. Er kann dazu beitragen, Spannungen abzubauen, und helfen, eine geschwisterlichere Welt aufzubauen, indem er Herz und Verstand öffnet, für ein menschlicheres und gerechteres Miteinander einzutreten.
Wir wissen, dass die Anstrengungen der Aufnahme und Unterbringung erst der Anfang der Bemühungen sind. Integration und Dialog stellen die weitaus größeren Herausforderungen dar. Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, diese Aufgaben anzugehen. Als Orden mit z. T. vielfältigen Erfahrungen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs möchten wir alle in unserem Land dazu ermuntern, diesen Weg zu gehen. Wir wollen uns selber nach Kräften den Herausforderungen stellen und an Lösungen mitarbeiten.