Die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) veröffentlicht am heutigen 26. August die Ergebnisse einer Befragung unter ihren Mitgliedern zum Thema „Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Ordensangehörige sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und zur Prävention“.
Der Bericht steht hier auf www.orden.de zum Download zur Verfügung.
Die Befragung geht auf einen Beschluss der DOK-Mitgliederversammlung 2019 zurück, die sich zum wiederholten Mal intensiv mit der Problematik des Missbrauchs befasst hatte. Anliegen war es, differenzierte Kenntnisse zu gewinnen, wie die aktuelle Situation hierzu in den Ordensgemeinschaften ist. Diese sind notwendig, etwa um den Gemeinschaften zielgenaue Hilfen anbieten zu können, um Betroffene sexuellen Missbrauchs besser unterstützen und neue Taten verhindern zu können sowie um auskunftsfähig zu sein.
Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung bestätigen, dass der in den vergangenen Jahren offenbar gewordene Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nicht nur die diözesan verfasste Kirche, sondern in erheblichem Ausmaß auch die Ordensgemeinschaften betrifft. Die DOK bekennt sich in diesem Zusammenhang erneut zu ihrer Verantwortung. Die DOK-Vorsitzende, Sr. Katharina Kluitmann, stellt fest: „Ja, Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaften haben sexuellen Missbrauch in seinen verschiedenen Formen verübt. Nicht nur diese Taten haben unsägliches Leid über die Betroffenen gebracht. Auch der Umgang von Leitungsverantwortlichen und anderen Ordensmitgliedern mit Betroffenen und ihren Berichten haben Menschen erneut verletzt, die sich durch ihre mutige Öffnung einen gemeinsamen Schritt auf ihrem Weg der Heilung erhofft hatten. Wir bedauern das sehr und erkennen unser Versagen erneut an.“
Der Bericht spricht – auch mit Verweis auf die Ergebnisse der im Jahr 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten MHG-Studie – von deutlichen Schwachstellen bei den bisher getroffenen Maßnahmen und von weiterem Handlungsbedarf. Betroffene von sexuellem Missbrauch erwarteten zu Recht das Eingestehen der Verbrechen, Aufarbeitung und Prävention. Hier seien in erster Linie die Ordensgemeinschaften in der Pflicht. Aber auch die DOK als Zusammenschluss der Höheren Oberinnen und Oberen der Ordensgemeinschaften sei gefordert, Sorge für Bewusstseinsbildung und unterstützende Maßnahmen zu ergreifen. Um dieser Verpflichtung gerecht werden zu können war es Zweck der Befragung, den Wissensstand der DOK zu verbessern. Sie zielte nicht auf eine wissenschaftliche Verwertung der gemachten Angaben.
Die Mitgliederbefragung richtete sich an insgesamt 392 Ordensobere von denen 75 % den Fragebogen zurücksandten. 111 aller Gemeinschaften haben weniger als zehn Mitglieder. Drei Viertel der Ordensgemeinschaften haben nur bis zu 50 (zumeist sehr alte) Mitglieder; 69 % der Ordensfrauen und -männer sind über 75 Jahren alt. Zugleich sind die Ordensgemeinschaften äußerst unterschiedlich strukturiert: So gibt es kleine und kleinste selbständige Klöster mit wenigen Mitgliedern, aber auch Ordensprovinzen mit einer Vielzahl von Niederlassungen und nach wie vor mehreren hundert Mitgliedern. Dies ist Ausdruck jeweils unterschiedlicher Formen, das Ordensleben zu gestalten – von ausgeprägt kontemplativen Gemeinschaften mit kaum Berührungspunkten zur Außenwelt bis zu Gemeinschaften, deren Schwerpunkt in der Jugendarbeit liegt oder – z.B. in der Behindertenhilfe oder in Senioreneinrichtungen – in der Arbeit mit erwachsenen Schutzbefohlenen.
Bei der Mitgliederbefragung wurden Daten zu folgenden Themenfeldern erhoben:
- Kontakte mit Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen in Vergangenheit und Gegenwart
- Bestellung von Ansprechpartnern in Fällen von sexuellem Missbrauch
- Anzahl von Personen, die sich als Betroffene von sexueller Gewalt gemeldet haben
- Meldung an Staatsanwaltschaft
- Zahlungen in Anerkennung des Leids, mit und ohne Antrag über die Zentrale Koordinierungsstelle (ZKS)
- Führung und Durchsicht der Personalakten
- Präventionsbeauftragte / Präventionsschulungen / Schutzkonzepte
- Von Missbrauch Betroffene unter den Ordensangehörigen
- Planung / Durchführung von Studien.
Im Fokus der Befragung standen unterschiedslos alle bei Ordensgemeinschaften eingegangenen Meldungen zu Grenzverletzungen, Übergriffen und sexuellem Missbrauch ohne Einschränkung auf einen bestimmten Zeitraum. Die Teilnahme war freiwillig. Es wurden keine personenbezogenen Daten zu Betroffenen und Beschuldigten erhoben. Der Anteil der mit Missbrauchsvorwürfen konfrontierten Gemeinschaften liegt – so der Bericht – bei den Frauengemeinschaften bei 22 % und bei den Männergemeinschaften bei 68,8 %. Insgesamt haben sich 1.412 Personen bei den Ordensgemeinschaften gemeldet, die angaben, betroffen zu sein – unabhängig davon, ob ihre Berichte seitens der Ordensgemeinschaften als plausibel eingestuft wurden oder nicht. Insgesamt 654 Ordensmitglieder wurden beschuldigt. Knapp 80 % Prozent aller Beschuldigten sind bereits verstorben. 95 der Beschuldigten sind bis heute Mitglied der Ordensgemeinschaft. 37 sind nicht mehr in der Gemeinschaft.
Der Bericht erinnert daran, dass bereits bisher zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz zur Aufarbeitung der Taten, zur Anerkennung des Leids und zur Prävention Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Folgen der Verbrechen zu mildern und neue Übergriffe und Straftaten zu verhindern. Darüber hinaus sind im Nachgang der Mitgliederbefragung eine Reihe weiterer Maßnahmen geplant. Die Rolle der DOK ist es hier vor allem, Anstöße zu geben, zu unterstützen, zu fördern und zu vernetzen. So soll ein Beraterstab geschaffen werden, auf den Ordensgemeinschaften zurückgreifen können.
Der Bericht fordert, es müsse über das Geschehene hinaus zu Formen einer Aufarbeitung kommen, „die als unabhängig bezeichnet werden kann, ohne dass die einzelnen Ordensgemeinschaften damit aus der jeweiligen Verantwortung entlassen wären.“ Die DOK wird qualifizierte Workshops anbieten, um dabei zu helfen. Angesprochen wird in diesem Zusammenhang auch die Frage der Personalaktenführung. Der Bericht erinnert daran, dass „die Zugehörigkeit zu einer Ordensgemeinschaft mehr und anders ist als ein Arbeitsverhältnis“, daher sei auch der Charakter dieser Akten anders als der von Mitarbeiterakten. Die DOK wird vor diesem Hintergrund einen Leitfaden für die Führung von Personalakten für Ordensangehörige erstellen.
Zum Anliegen einer „Anerkennung des Leids“ stellt der Bericht fest, diese sei für die Betroffenen ein wichtiger Bestandteil für die persönliche Aufarbeitung. Er erinnert an die Notwendigkeit einer offenen Aufnahme und eines offenen Zugehens der Ordensgemeinschaften auf Betroffene. Bezüglich der Zahlungen in Anerkennung des Leids sei die DOK im intensiven Austausch mit der Deutschen Bischofskonferenz hinsichtlich der Weiterentwicklung des bisherigen Verfahrens: „Alle Seiten haben ein Interesse an einer möglichst einheitlichen Regelung im Bereich der Kirche. Die Ordensgemeinschaften sind dabei jedoch auf Unterstützung angewiesen.“
Im Bereich der Prävention nehmen offenbar vielfach Schwestern und Brüder, die bei externen Trägern – etwa den Diözesen – arbeiten, dort an Präventionsschulungen teil. Darauf deuten im Rahmen der Umfrage ergänzende Hinweise aus den teilnehmenden Ordensgemeinschaften hin. Die DOK wird unter anderem zum Thema eigener institutionellen Schutzkonzepte der Ordensgemeinschaften zeitnah Workshops für Präventionsbeauftragte anbieten. Die große Mehrheit der Ordensgemeinschaften hat sich als Gemeinschaft – unabhängig davon, ob sie selbst mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert ist – mit dem Thema „sexuelle Gewalt“ inhaltlich auseinandergesetzt. Auch in Bezug auf diese Form der Bewusstseinsbildung soll die DOK gegebenenfalls unterstützend tätig werden. Jenseits der Ergebnisse der Mitgliederbefragung kündigt der Bericht an, die DOK werde auch die Sensibilisierung für Machtmissbrauch, der die Form geistlichen Missbrauchs annimmt, weiterführen. Für den Herbst 2020 sei eine Tagung zur Thematik der für die Orden typischen Gelübde – insbesondere des Gehorsamsgelübdes – im Zusammenhang mit Machtfragen geplant.
Die DOK-Vorsitzende, Sr. Katharina, stellt fest: „Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung sind nur ein weiterer Schritt, der zeigt, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Wir sind bereit, uns dem mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu stellen. Darüber hinaus sind wir weiterhin auf Anregungen und Rückmeldungen, auf Kritik, und dann und wann auch auf Ermutigung angewiesen. Die finanziellen und vor allem auch personellen Ressourcen der Ordensgemeinschaften sind so prekär, dass wir wissen, dass wir nur gemeinsam mit anderen diesen Weg gehen können. Allen, die uns bisher unterstützt haben, sind wir dankbar, vor allem den Betroffenen, die mit ihren zu Recht unbequemen Fragen und Anregungen unser Leben verändert haben und damit hoffentlich nicht aufhören werden.“