Ordensgemeinschaften in Deutschland

Menschwerdung

Man ist zur goldenen Hochzeit der Eltern eingeladen. Am Morgen des Festes will ich noch rasch beim Blumenladen an der Ecke vorbeigehen und einen Strauß rote Rosen kaufen. Ich bin knapp dran, mache mich eilends auf den Weg und erbleiche: Den Blumenladen gibt es offensichtlich nicht mehr. Ich komme also ohne Blumen zum Fest. Derlei Erfahrungen kennen wir wohl alle. Und eigentlich wissen wir es doch: Ein gutes Fest kann nur gelingen, wenn nicht alles erst im letzten Moment organisiert wird. Auch in den Evangelien kommen solche Begebenheiten zur Sprache, etwa im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen. Selbst wenn der Bräutigam zu spät ist, das Fest kann gefeiert werden. Die Lampen werden angezündet – aber nicht alle. Den Törichten fehlt ja das Öl. Ihre Torheit ist Mangel an Achtsamkeit, Schlamperei: „Es wird schon irgendwie gehen, die anderen richten es schon“.

Oder nehmen wir das Gleichnis von den Talenten. Der erste Diener bekommt fünf Talente, der zweite zwei, der dritte nur eines. Der Herr vertraut jedem etwas an, und zwar „jedem nach seinen Fähigkeiten“ (Mt 25,15). Niemand sollte demnach überfordert sein, und es wird auch nicht gesagt, was jeder genau tun soll. Eigeninitiative und Kreativität sind offenbar gefragt. Die ersten beiden beginnen sogleich ihre Gaben einzusetzen. Man spürt förmlich ihre Schaffensfreude, ihren Ehrgeiz. Ganz anders der dritte Diener. Ihn erfüllt keine Freude, sondern Angst. Folglich probiert er nichts, investiert nichts, riskiert nichts – und lernt auch nichts. Stattdessen vergräbt er das Geld. Diese Haltung führt zur Erstarrung, zu Faulheit und Feigheit.

Nur wer mutig und kreativ ist, wer viel Zeit und Energie in Beziehungen investiert, der wird auch selber reich beschenkt. Wer dagegen faul ist und immer nur ein bisschen investiert, für den zerrinnt selbst das Wenige noch. Den in diesem Sinne Erfolgreichen gehört das Himmelreich. Aber es gibt noch eine wichtige Ergänzung. Wer viel Erfolg hat, ist oft versucht, alles seinem eigenen Können zuzuschreiben, obwohl er doch sein Talent vom Herrn bekommen hat. Biblisch könnte man sagen, wir sind eingeladen, gute Beziehungsmenschen zu sein, kreativ und ein Segen für andere, dabei aber nie zu vergessen, dass die Quelle von allem Gott ist, dessen Geist in und durch uns wirkt. Wenn wir jetzt wie jedes Jahr Weihnachten feiern, so feiern wir die Menschwerdung Gottes in der Welt. Genauso wie Gott in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist, möchte Gott auch in uns geboren werden, sich in jeder und jedem von uns verwirklichen.

Über den Autor

P. Christof Wolf SJ ist Mitglied der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten.

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