Ordensgemeinschaften in Deutschland

Vom Sich-selber-ehren

"In aller Demut ehre auch dich selbst und tu dir Gutes. Wer sich selbst nichts gönnt, ist anderen eine Last!" Dieser Satz steht im Buch Sirach, Kapitel 14. Es gibt Leute, die sich ständig selbst schlecht machen und für unfähig halten in der Meinung, dies sei die biblisch geforderte Selbsterniedrigung. Die wahre Demut hat nichts mit Selbstablehnung oder Selbstverneinung zu tun. Sie hat mit dem Mut zum Dienen zu tun, mit dem Mut, seine Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und dabei möglicherweise auch Fehler zu machen. Wer sich aber stets mit anderen vergleicht, die er für besser, erfolgreicher oder attraktiver hält, und sich deshalb versteckt, schneidet natürlich schlechter ab. Auf Dauer fühlt er sich auch schlecht. Wer als Kind nie sein durfte, wie er gerade war, wer also stets ein anderer sein mußte, um geliebt zu werden: braver, angepasster, erfolgreicher, wird als Erwachsener nicht wissen, wie er wirklich ist. Er wird sich stets klein machen, um aufgebaut zu werden. Oder aber er macht sich größer als er ist, um Bewunderung zu erhalten. Einem solchen Menschen sage ich: "Mach dich nicht so groß. So klein bist du doch nicht!" Wer meint, seine Gaben verstecken zu müssen, um als bescheidener Mensch zu gelten, ist auf eine andere Weise geltungsbedürftig. Er läuft Gefahr, von seinen Mitmenschen eine Entschädigung für die vermeintlicheDemut einzufordern.

"Fishing for compliments" nennt man das. Davon sprach Jesus nicht. Wer aber nie gelobt wurde, konnte auch kaum lernen, seine eigenen Gaben und Grenzen zu erkennen und anzunehmen. Solche Menschen neigen dazu, depressiv oder aggressiv zu werden. Eigenlob stinkt nicht immer. Die Heilige Schrift sagt es in aller Deutlichkeit: "Gib dir selber das Recht, das dir zusteht und versag dir nicht das Glück des Tages!" Deshalb rate ich Ihnen: Machen Sie sich selber niemals schlecht! Das besorgen andere schon.

Haben Sie heute schon gelobt? Ich meine jetzt nicht das morgendliche Gotteslob, sondern das Anerkennen des Mitmenschen. Wahrscheinlich kommt beides bei uns zu kurz. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem gesunden Selbstwertgefühl und der Fähigkeit, andere zu loben. Wer es tut, baut sich auch eine Straße im Gehirn, d.h. die Areale , die für soziale Aktivitäten und verbale Kommunikation zuständig sind (Frontallappen, rechte Gehirnseite), vergrößern sich. Solche Menschen neigen zu mehr Anerkennung und Zuwendung. Was immer einer denkt und tut, prägt ihn also auch neurologisch. Und wer mit sich selbst gut umgeht im Sinn der Selbstachtung, geht auch mit seinen Mitmenschen gut um. Reine Egoisten und Narzissten aber haben diese Verdickung der Gehirnareale nicht.

Und noch etwas: Wer sich nie gegen Unrecht wehrt und seinen Ruf verteidigt, verliert den Respekt vor sich selber. Als der Schuldirektor vor der ganzen Klasse zu mir sagte: „Haben Sie in Ihrer Wüste des Nichtwissens überhaupt Oasen des Wissens?“ entgegnete ich: „Ich habe Oasen des Wissens. Aber die Kamele finden sie nicht.“ Von da an hatten alle Respekt vor mir. Ich auch.

Ein Christ, der ständig schlecht sich macht,
sein Licht versteckt in Anbetracht
der Niedrigkeit, scheint selbstlos bloß.
In Wahrheit ist sein Selbst er los.

Über den Autor

P. Dr. Jörg Müller SAC ist Pallottinerpater und Psychotherapeut.

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