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Orden.de präsentiert Interview zum Hildegard von Bingen-Film "Vision"

Am 24. September kommt der Film "Vision - aus dem Leben der Hildegard von Bingen" bundesweit in die Kinos. Schwester Philippa Rath aus der Abtei St.Hildegard in Rüdesheim - einst von Hildegard (1098-1179) gegründet - hat die Entstehung des Films verfolgt

Am 24. September kommt der Film "Vision - aus dem Leben der Hildegard von Bingen" in der Regie von Margarethe von Trotta und mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle bundesweit in die Kinos. Schwester Philippa Rath aus der Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard in Rüdesheim, Eibingen - einst von der heiligen Hildegard (1098-1179) gegründet - hat die Entstehung des Films verfolgt und das Endprodukt bereits gesehen. Mit Sr. Philippa sprach Arnulf Salmen (DOK).


DOK: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der hl. Hildegard von Bingen und sind selbst Benediktinerin der Abtei St. Hildegard. Wie gefällt Ihnen der Hildegard-Film "Vision" von Margarethe von Trotta?

[B2] Schwester Philippa: Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich hin- und hergerissen. Es gibt sehr viele schöne und interessante Sequenzen in dem Film, viele Originalzitate aus den Werken Hildegards werden dem Zuschauer nahegebracht. Auch die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller ist meines Erachtens sehr gut. Aber ich frage mich am Ende, was eigentlich die Botschaft des Films ist. Hildegard als emanzipierte Frau des 12. Jahrhunderts, die sich scheinbar nahtlos in die Reihe der großen Frauengestalten einfügt, die die Filme Margarethe von Trottas prägen? Dazu taugt Hildegard eigentlich nicht. Im Letzten ging es ihr um Gott, um den Glauben, um Glaubensverkündigung in einer Sprache, die die Menschen verstehen. Hildegard wollte die Menschen zurück führen zum Glauben, ihnen den Himmel wieder öffnen und sie in die Verantwortung rufen - in die Verantwortung für sich selbst, für ihre Mitmenschen und für die Schöpfung. Dies fehlt mir als entscheidendes, durchgängiges Grundmotiv Hildegards. Sie wollte nicht sich selbst verkündigen, sondern Gott. Am Ende des Films steht der Aufbruch zu den Predigtreisen. Die wären vielleicht auch filmisch ein schönes Motiv gewesen, um die Inhalte der Glaubensverkündigung einzufangen.

DOK: Lassen sich Heilige vergangener Zeiten überhaupt realistisch darstellen?

Sr. Philippa: Das scheint mir in der Tat sehr schwierig zu sein. 900 Jahre Geschichte lassen sich eben nicht so leicht überbrücken. Wir sehen die historischen Gestalten ja immer mit unseren Augen - das ist ganz natürlich. Insofern wird man ihnen wohl nie ganz gerecht. Aber Frau von Trotta hat ja auch gottlob nicht den Anspruch erhoben, in ihrem Film eine historische Darstellung liefern zu wollen. Insofern spiegelt der Film "Vision" wohl eher ihr ganz persönliches Bild der hl. Hildegard wider.

DOK: Besonders schwierig darzustellen waren sicher Hildegards Visionen. Hatten Sie Angst, dass der Film bei diesem Thema, das ja auch den Titel des ganzen Films bildet, in Kitsch abdriften könnte?

Sr. Philippa: Das Thema "Vision" gehört zu den schwierigsten im Zusammenhang mit Person und Werk der hl. Hildegard. Ich bin der Überzeugung, dass Hildegards Visionen einerseits die Frucht ihres geistlichen Lebens und ihrer intensiven Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, mit den Texten der Kirchenväter und mit der Benediktsregel waren, und dass sie andererseits auch als ein literarisches Stilmittel betrachtet werden können. Wie auch immer: im Tiefsten handelt es sich dabei um ein pfingstliches Geschehen. Hildegard war im wahrsten Sinne eine geistbegabte Frau und hatte sicher eine sehr intensive Gottesbeziehung. Gottesbegegnungen aber werden oft mit dem Bild des Lichtes dargestellt, so wie der Heilige Geist zumeist in Wind, Wolken und Feuerzungen ausgedrückt wird. Natürlich hält man da bei einer Verfilmung den Atem an - der Grad zwischen Kunst und Kitsch ist ja immer sehr schmal. So bin ich froh, dass nur eine Vision in Bilder umgesetzt wurde und ansonsten Hildegard die Inhalte ihrer Visionen schlicht erzählt.

DOK: Sind die Worte, mit denen Hildegard in dem Film von ihren Visionen spricht, Zitate aus ihren Werken?

Sr. Philippa: Ja, und darüber bin ich auch sehr froh. Es sind viele wichtige Originalzitate im Film und zwar vor allem aus den Werken "Scivias - Wisse die Wege", "Liber divinorum operum - Welt und Mensch" und aus der "Causae et curae", der heilkundlichen Schrift Hildegards.

DOK: Hildegard von Bingen wirkt in dem Film ziemlich emanzipiert. War sie das oder ist das eine Interpretation Margarethe von Trottas, die sich ja gern starken Frauenfiguren widmet?

[B1] Sr. Philippa: Hildegard war ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit und hat sicher auch manches gesagt und getan, was durchaus widerständig, ja zum Teil sogar für damalige Verhältnisse anstößig und skandalös war. Aber das war nur die eine Seite. Die Inhalte ihrer Glaubensverkündigung waren durchaus klassisch und keineswegs besonders revolutionär. Als Galionsfigur der Emanzipation, - ein Begriff, der ja erst in unserer Zeit geprägt wurde -, eignet sich Hildegard aber nicht.

DOK: Stimmt es, dass sie beschlossen hat, ein eigenes Frauenkloster auf dem Rupertsberg bei Bingen zu gründen, weil eine ihrer Schwestern von einem Mönch schwanger geworden war und sich dann das Leben genommen hat?

Sr. Philippa: Nein, historisch stimmt das nicht. Die entsprechende Szene in dem Film ist eine aus meiner Sicht völlig unnötige Ergänzung im Drehbuch, sozusagen eine "Hommage an den Zeitgeist". Die hl. Hildegard sah sich ganz klar von Gott beauftragt, ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg zu bauen. Sie verließ die Mönche des Disibodenberg, um von der Peripherie ins Zentrum von Kirche und Welt zu gelangen. Der Rupertsberg lag ja damals an den zwei wichtigsten Verkehrsadern Europas überhaupt: dem Rhein und der alten Römerstraße. Hier kamen alle Reisenden vorbei, was einen regen Austausch nicht nur von Waren, sondern vor allem von Wissen und Gedanken ermöglichte. In dem Film kommt dieses Motiv nur am Rande in dem Dialog mit dem Baumeister zum Ausdruck. Dies weist für mich darauf hin, dass Frau von Trotta die schwangere junge Nonne, die sich das Leben nahm, eigentlich nur als Vorwand Hildegards Abt Kuno gegenüber interpretiert haben wollte. Ein Vorwand allerdings, dessen es meines Erachtens auch in einem Spielfilm wirklich nicht bedurft hätte.

DOK: Wie gut hat Barbara Sukowa die hl. Hildegard Ihrer Meinung nach verkörpert?

Sr. Philippa: Barbara Sukowa war für meinen Geschmack eine Idealbesetzung für diese Rolle, obwohl wir ja nicht wissen, wie Hildegard wirklich ausgesehen hat. In ihrer etwas herben und spröden Art passt Barbara Sukowa aber sehr gut zur hl. Hildegard.

DOK: Im Film tritt die hl. Hildegard sehr bestimmend, manchmal sogar eigensinnig auf. Was veranlasst zu der Annahme, dass sie so war?

Sr. Philippa: Ich würde eher sagen, dass die hl. Hildegard sich ihrer selbst und ihrer prophetischen Sendung sehr klar bewusst war und so auch sehr genau wusste, was sie wollte, bzw. tun musste. Das geht aus ihrer Vita, vor allem aber auch aus den 390 Briefen hervor, die bis heute von ihr überliefert sind. Auf uns mag das "eigensinnig" wirken. Ich denke aber, dass dahinter weit mehr steckt. Die großen Heiligen waren sehr oft unbequem und für die, mit denen sie zusammen lebten, wohl auch durchaus schwierige Zeitgenossen.

DOK: Was fasziniert Sie persönlich an Hildegard von Bingen?

Sr. Philippa: Ich persönlich habe eigentlich nur sehr langsam einen inneren Zugang zu Hildegard und ihrem Werk gefunden. Je mehr ich mich aber hinein vertiefte, desto größer wurde meine Bewunderung für diese außergewöhnliche Frau. Sie sah tiefer und weiter als andere, sie sah die großen Zusammenhänge: von Gott und Welt, Welt und Mensch, Schöpfung und Erlösung. Sie war unerschrocken und hatte den Mut, den Glauben auf ganz neue Weise auszudrücken und zu verkünden. Sie ermahnte zur Glaubwürdigkeit und erinnerte die weltlichen Herrscher an die Grenzen ihrer Macht. Sie rüttelte ihre Zeitgenossen wach, erinnerte sie an Gott und öffnete ihnen damit ein Stück weit wieder neu den Himmel. Und sie tat das nicht nur vor 900 Jahren, sie tut es heute noch. Es gibt so viele Menschen, die sich heute durch sie und mit ihrer Hilfe wieder neu für den Glauben öffnen. Das allein fasziniert mich an dieser Gestalt.

DOK: Wie sind Sie dazu gekommen, Margarethe von Trotta bei dem Film zu beraten und was genau war Ihre Aufgabe dabei?

Sr. Philippa: Das war eigentlich ganz einfach und unspektakulär: Irgendwann im Frühjahr 2007 rief Frau von Trotta an und fragte, ob sie einmal für einen Tag in unserer Abtei vorbeikommen und mit mir sprechen könnte. Wir haben uns dann über Klosterleben und über Hildegard von Bingen unterhalten und ich habe ihr geholfen, sich in der Flut von Hildegard-Literatur zu Recht zu finden. Sie kam dann noch ein zweites Mal, um einmal bei einer Ewigen Profess dabei sein zu können. Später haben wir noch einige Male per E-Mail-Kontakt gehabt - zumeist dann, wenn Frau von Trotta klosterspezifische Einzelheiten wissen wollte oder auch Schlüsselzitate aus dem umfangreichen Werk der hl. Hildegard suchte. Bei den Dreharbeiten, die mehrere Wochen dauerten, war ich dann einen halben Tag lang in Kloster Eberbach dabei, als es darum ging, die Szene zu drehen, in der die junge Nonne Richardis ihre ewige Profess ablegt.

DOK: Was meinen Sie: wird der Film ein Erfolg oder ein Flopp?

Schwester Philippa: Ich halte beides für möglich. Der Film "Die große Stille" wurde seinerzeit auch zu einem völlig unerwarteten Erfolg. Es gibt sehr viele Menschen, die sich heute mit Hildegard von Bingen beschäftigen, die ihre Schriften lesen, ja die sogar über sie und ihr Werk zum Glauben finden. Das erleben wir in der Abtei St. Hildegard nicht selten. Es gibt also ein breites Hildegard-Publikum, das sicher in die Kinos gehen wird. Ob es gelingt, ein Massenpublikum zu erreichen, wage ich zu bezweifeln. Dazu ist der Film wohl zu wenig spannend. Aber vielleicht werden manche doch neugierig werden auf diese große Frauengestalt der Geschichte. Besonders aufschlussreich ist der Film wohl vor allem für die kleine Gruppe derer, die sich für die Rezeptionsgeschichte der heiligen Hildegard durch neun Jahrhunderte hindurch interessieren. Denn mit dem Film "Vision" haben wir sozusagen eine klassische Interpretation des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts vor Augen.

Hinweis: im Internet findet sich der Film unter dem Link www.vision-derfilm.de.